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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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und wie der Tag wuchs, so vermehrte sich
die Anzahl der Honoratioren. Erst erschie¬
nen die Vertrauten und Verwandten, dann
die untern Staatsbeamten; die Herren vom
Rathe selbst verfehlten nicht ihren Schult¬
heiß zu begrüßen, und eine auserwählte
Anzahl wurde Abends in Zimmern bewirthet,
welche das ganze Jahr über kaum sich öffne¬
ten. Die Torten, Biscuitkuchen, Marzipane,
der süße Wein übte den größten Reiz auf
die Kinder aus, wozu noch kam, daß der
Schultheiß so wie die beyden Burgemeister,
aus einigen Stiftungen jährlich etwas Sil¬
berzeug erhielten, welches denn den Enkeln
und Pathen nach einer gewissen Abstufung
verehrt ward; genug es fehlte diesem Feste
im Kleinen an nichts was die größten zu
verherrlichen pflegt.

Der Neujahrstag 1759 kam heran, für
uns Kinder erwünscht und vergnüglich wie
die vorigen, aber den ältern Personen be¬

und wie der Tag wuchs, ſo vermehrte ſich
die Anzahl der Honoratioren. Erſt erſchie¬
nen die Vertrauten und Verwandten, dann
die untern Staatsbeamten; die Herren vom
Rathe ſelbſt verfehlten nicht ihren Schult¬
heiß zu begruͤßen, und eine auserwaͤhlte
Anzahl wurde Abends in Zimmern bewirthet,
welche das ganze Jahr uͤber kaum ſich oͤffne¬
ten. Die Torten, Biscuitkuchen, Marzipane,
der ſuͤße Wein uͤbte den groͤßten Reiz auf
die Kinder aus, wozu noch kam, daß der
Schultheiß ſo wie die beyden Burgemeiſter,
aus einigen Stiftungen jaͤhrlich etwas Sil¬
berzeug erhielten, welches denn den Enkeln
und Pathen nach einer gewiſſen Abſtufung
verehrt ward; genug es fehlte dieſem Feſte
im Kleinen an nichts was die groͤßten zu
verherrlichen pflegt.

Der Neujahrstag 1759 kam heran, fuͤr
uns Kinder erwuͤnſcht und vergnuͤglich wie
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[184/0200] und wie der Tag wuchs, ſo vermehrte ſich die Anzahl der Honoratioren. Erſt erſchie¬ nen die Vertrauten und Verwandten, dann die untern Staatsbeamten; die Herren vom Rathe ſelbſt verfehlten nicht ihren Schult¬ heiß zu begruͤßen, und eine auserwaͤhlte Anzahl wurde Abends in Zimmern bewirthet, welche das ganze Jahr uͤber kaum ſich oͤffne¬ ten. Die Torten, Biscuitkuchen, Marzipane, der ſuͤße Wein uͤbte den groͤßten Reiz auf die Kinder aus, wozu noch kam, daß der Schultheiß ſo wie die beyden Burgemeiſter, aus einigen Stiftungen jaͤhrlich etwas Sil¬ berzeug erhielten, welches denn den Enkeln und Pathen nach einer gewiſſen Abſtufung verehrt ward; genug es fehlte dieſem Feſte im Kleinen an nichts was die groͤßten zu verherrlichen pflegt. Der Neujahrstag 1759 kam heran, fuͤr uns Kinder erwuͤnſcht und vergnuͤglich wie die vorigen, aber den aͤltern Perſonen be¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/200>, abgerufen am 17.05.2024.