Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.Der Neujahrstag ward zu jener Zeit Der Neujahrstag ward zu jener Zeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0199" n="[183]"/> <p>Der Neujahrstag ward zu jener Zeit<lb/> durch den allgemeinen Umlauf von perſoͤnli¬<lb/> chen Gluͤckwuͤnſchungen fuͤr die Stadt ſehr<lb/> belebend. Wer ſonſt nicht leicht aus dem<lb/> Hauſe kam, warf ſich in ſeine beſten Kleider,<lb/> um Goͤnnern und Freunden einen Augenblick<lb/> freundlich und hoͤflich zu ſeyn. Fuͤr uns<lb/> Kinder war beſonders die Feſtlichkeit in dem<lb/> Hauſe des Großvaters an dieſem Tage ein<lb/> hoͤchſt erwuͤnſchter Genuß. Mit dem fruͤhſten<lb/> Morgen waren die Enkel ſchon daſelbſt ver¬<lb/> ſammelt, um die Trommeln, die Hoboen<lb/> und Clarinetten, die Poſaunen und Zinken,<lb/> wie ſie das Militaͤr, die Stadtmuſici und<lb/> wer ſonſt alles ertoͤnen ließ, zu vernehmen.<lb/> Die verſiegelten und uͤberſchriebenen Neu¬<lb/> jahrsgeſchenke wurden von den Kindern un¬<lb/> ter die geringern Gratulanten ausgetheilt,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [[183]/0199]
Der Neujahrstag ward zu jener Zeit
durch den allgemeinen Umlauf von perſoͤnli¬
chen Gluͤckwuͤnſchungen fuͤr die Stadt ſehr
belebend. Wer ſonſt nicht leicht aus dem
Hauſe kam, warf ſich in ſeine beſten Kleider,
um Goͤnnern und Freunden einen Augenblick
freundlich und hoͤflich zu ſeyn. Fuͤr uns
Kinder war beſonders die Feſtlichkeit in dem
Hauſe des Großvaters an dieſem Tage ein
hoͤchſt erwuͤnſchter Genuß. Mit dem fruͤhſten
Morgen waren die Enkel ſchon daſelbſt ver¬
ſammelt, um die Trommeln, die Hoboen
und Clarinetten, die Poſaunen und Zinken,
wie ſie das Militaͤr, die Stadtmuſici und
wer ſonſt alles ertoͤnen ließ, zu vernehmen.
Die verſiegelten und uͤberſchriebenen Neu¬
jahrsgeſchenke wurden von den Kindern un¬
ter die geringern Gratulanten ausgetheilt,
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