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Goethe, Johann Wolfgang von: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. [s. l.], 1773.

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Adelheid. Euch nicht so wohl als euren Um-
gang. Jch wollte ihr wärt wo ihr hin wolltet, und
wir hätten euch nicht gehalten.
Weislingen. Das ist Weibergunst! Erst brütet
sie mit Mutterwärme unsere liebsten Hoffnungen
an, dann gleich einer unbeständigen Henne, ver-
läßt sie das Nest, und übergiebt ihre schon keimende
Nachkommenschaft dem Todt und der Verwesung.
Adelheid. Deklamirt wider die Weiber! Der
unbesonnene Spieler zerbeist und zerstampft die
Karten, die ihn unschuldiger Weis verlieren mach-
ten. Aber laßt mich euch was von Mannsleuten
erzählen. Was seyd denn ihr, um von Wankel-
muth zu sprechen? Jhr die ihr selten seyd was ihr
seyn wollt, niemals was ihr seyn solltet. Könige
im Festt[agso]rnat, vom Pöbel beneidet. Was gäb
eine Schneidersfrau drum, eine Schnur Perlen um
ihren Hals zu haben, von dem Saum eures Kleids,
den eure Absätze verächtlich zurück stosen!
Weislingen. Jhr seyd bitter.
Adelheid. Es ist die Antistrophe von eurem Ge-
sang. Eh ich euch kannte Weislingen, gieng mir's
wie der Schneidersfrau. Der Ruf hundertzüngig,
ohne
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Adelheid. Euch nicht ſo wohl als euren Um-
gang. Jch wollte ihr waͤrt wo ihr hin wolltet, und
wir haͤtten euch nicht gehalten.
Weislingen. Das iſt Weibergunſt! Erſt bruͤtet
ſie mit Mutterwaͤrme unſere liebſten Hoffnungen
an, dann gleich einer unbeſtaͤndigen Henne, ver-
laͤßt ſie das Neſt, und uͤbergiebt ihre ſchon keimende
Nachkommenſchaft dem Todt und der Verweſung.
Adelheid. Deklamirt wider die Weiber! Der
unbeſonnene Spieler zerbeiſt und zerſtampft die
Karten, die ihn unſchuldiger Weis verlieren mach-
ten. Aber laßt mich euch was von Mannsleuten
erzaͤhlen. Was ſeyd denn ihr, um von Wankel-
muth zu ſprechen? Jhr die ihr ſelten ſeyd was ihr
ſeyn wollt, niemals was ihr ſeyn ſolltet. Koͤnige
im Feſtt[agſo]rnat, vom Poͤbel beneidet. Was gaͤb
eine Schneidersfrau drum, eine Schnur Perlen um
ihren Hals zu haben, von dem Saum eures Kleids,
den eure Abſaͤtze veraͤchtlich zuruͤck ſtoſen!
Weislingen. Jhr ſeyd bitter.
Adelheid. Es iſt die Antiſtrophe von eurem Ge-
ſang. Eh ich euch kannte Weislingen, gieng mir’s
wie der Schneidersfrau. Der Ruf hundertzuͤngig,
ohne
F 4
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[87/0091] Adelheid. Euch nicht ſo wohl als euren Um- gang. Jch wollte ihr waͤrt wo ihr hin wolltet, und wir haͤtten euch nicht gehalten. Weislingen. Das iſt Weibergunſt! Erſt bruͤtet ſie mit Mutterwaͤrme unſere liebſten Hoffnungen an, dann gleich einer unbeſtaͤndigen Henne, ver- laͤßt ſie das Neſt, und uͤbergiebt ihre ſchon keimende Nachkommenſchaft dem Todt und der Verweſung. Adelheid. Deklamirt wider die Weiber! Der unbeſonnene Spieler zerbeiſt und zerſtampft die Karten, die ihn unſchuldiger Weis verlieren mach- ten. Aber laßt mich euch was von Mannsleuten erzaͤhlen. Was ſeyd denn ihr, um von Wankel- muth zu ſprechen? Jhr die ihr ſelten ſeyd was ihr ſeyn wollt, niemals was ihr ſeyn ſolltet. Koͤnige im Feſttagſornat, vom Poͤbel beneidet. Was gaͤb eine Schneidersfrau drum, eine Schnur Perlen um ihren Hals zu haben, von dem Saum eures Kleids, den eure Abſaͤtze veraͤchtlich zuruͤck ſtoſen! Weislingen. Jhr ſeyd bitter. Adelheid. Es iſt die Antiſtrophe von eurem Ge- ſang. Eh ich euch kannte Weislingen, gieng mir’s wie der Schneidersfrau. Der Ruf hundertzuͤngig, ohne F 4

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. [s. l.], 1773, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_goetz_1773/91>, abgerufen am 03.05.2024.