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Goethe, Johann Wolfgang von: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. [s. l.], 1773.

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Olearius. Daher kommts. Der Schöppenstul,
der in großem Ansehen weit umher steht, ist mit
lauter Leuten besetzt, die der Römischen Rechte un-
kundig sind. Es gelangt niemand zur Würde eines
Richters, als der durch Alter und Erfahrung eine
genaue Kenntniß des innern und äusern Zustandes
der Stadt, und eine starke Urtheilskraft sich erwor-
ben hat, das Vergangene auf das Gegenwärtige
anzuwenden. So sind die Schöffen lenbendige
Archive, Chronicken, Gesetzbücher, alles in Einem,
und richten nach altem Herkommen und wenigen
Statuten ihre Bürger, und die Nachbarschaft.
Abt. Das ist wohl gut.
Olearius. Aber lange nicht genug. Der Men-
schen Leben ist kurz, und in Einer Generation kom-
men nicht alle Casus vor. Eine Sammlung solcher
Fälle von vielen Jahrhunderten ist unser Gesetzbuch.
Und dann ist der Wille und die Meynung der Men-
schen schwankend, dem deucht heute das recht,
was der andere morgen mißbilliget; Und so ist
Verwirrung und Ungerechtigkeit unvermeidlich. Das
alles bestimmen die Gesetze; und die Gesetze sind
unveränderlich.
Abt. Das ist freylich besser.
Olea-


Olearius. Daher kommts. Der Schoͤppenſtul,
der in großem Anſehen weit umher ſteht, iſt mit
lauter Leuten beſetzt, die der Roͤmiſchen Rechte un-
kundig ſind. Es gelangt niemand zur Wuͤrde eines
Richters, als der durch Alter und Erfahrung eine
genaue Kenntniß des innern und aͤuſern Zuſtandes
der Stadt, und eine ſtarke Urtheilskraft ſich erwor-
ben hat, das Vergangene auf das Gegenwaͤrtige
anzuwenden. So ſind die Schoͤffen lenbendige
Archive, Chronicken, Geſetzbuͤcher, alles in Einem,
und richten nach altem Herkommen und wenigen
Statuten ihre Buͤrger, und die Nachbarſchaft.
Abt. Das iſt wohl gut.
Olearius. Aber lange nicht genug. Der Men-
ſchen Leben iſt kurz, und in Einer Generation kom-
men nicht alle Caſus vor. Eine Sammlung ſolcher
Faͤlle von vielen Jahrhunderten iſt unſer Geſetzbuch.
Und dann iſt der Wille und die Meynung der Men-
ſchen ſchwankend, dem deucht heute das recht,
was der andere morgen mißbilliget; Und ſo iſt
Verwirrung und Ungerechtigkeit unvermeidlich. Das
alles beſtimmen die Geſetze; und die Geſetze ſind
unveraͤnderlich.
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[44/0048] Olearius. Daher kommts. Der Schoͤppenſtul, der in großem Anſehen weit umher ſteht, iſt mit lauter Leuten beſetzt, die der Roͤmiſchen Rechte un- kundig ſind. Es gelangt niemand zur Wuͤrde eines Richters, als der durch Alter und Erfahrung eine genaue Kenntniß des innern und aͤuſern Zuſtandes der Stadt, und eine ſtarke Urtheilskraft ſich erwor- ben hat, das Vergangene auf das Gegenwaͤrtige anzuwenden. So ſind die Schoͤffen lenbendige Archive, Chronicken, Geſetzbuͤcher, alles in Einem, und richten nach altem Herkommen und wenigen Statuten ihre Buͤrger, und die Nachbarſchaft. Abt. Das iſt wohl gut. Olearius. Aber lange nicht genug. Der Men- ſchen Leben iſt kurz, und in Einer Generation kom- men nicht alle Caſus vor. Eine Sammlung ſolcher Faͤlle von vielen Jahrhunderten iſt unſer Geſetzbuch. Und dann iſt der Wille und die Meynung der Men- ſchen ſchwankend, dem deucht heute das recht, was der andere morgen mißbilliget; Und ſo iſt Verwirrung und Ungerechtigkeit unvermeidlich. Das alles beſtimmen die Geſetze; und die Geſetze ſind unveraͤnderlich. Abt. Das iſt freylich beſſer. Olea-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. [s. l.], 1773, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_goetz_1773/48>, abgerufen am 19.04.2024.