Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832. Nereus. Sind's Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt? Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt! Gebilde, strebsam Götter zu erreichen, Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen. Seit alten Jahren konnt' ich göttlich ruhn, Doch trieb mich's an den Besten wohlzuthun; Und schaut' ich dann zuletzt vollbrachte Thaten, So war es ganz als hätt' ich nicht gerathen. Thales. Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir; Du bist der Weise, treib' uns nicht von hier! Schau' diese Flamme, menschenähnlich zwar, Sie deinem Rath ergibt sich ganz und gar. Nereus. Was Rath! Hat Rath bei Menschen je gegolten? Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr. So oft auch That sich grimmig selbst gescholten, Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor. Wie hab' ich Paris väterlich gewarnt, Eh' sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt. Am griechischen Ufer stand er kühnlich da, Ihm kündet ich was ich im Geiste sah: Die Lüfte qualmend, überströmend Roth, Gebälke glühend, unten Mord und Tod: Troja's Gerichtstag, rhythmisch festgebannt, Jahrtausenden so schrecklich als gekannt. Des Alten Wort dem Frechen schien's ein Spiel, Er folgte seiner Lust und Ilion fiel -. Nereus. Sind’s Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt? Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt! Gebilde, strebsam Götter zu erreichen, Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen. Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn, Doch trieb mich’s an den Besten wohlzuthun; Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte Thaten, So war es ganz als hätt’ ich nicht gerathen. Thales. Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir; Du bist der Weise, treib’ uns nicht von hier! Schau’ diese Flamme, menschenähnlich zwar, Sie deinem Rath ergibt sich ganz und gar. Nereus. Was Rath! Hat Rath bei Menschen je gegolten? Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr. So oft auch That sich grimmig selbst gescholten, Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor. Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt, Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt. Am griechischen Ufer stand er kühnlich da, Ihm kündet ich was ich im Geiste sah: Die Lüfte qualmend, überströmend Roth, Gebälke glühend, unten Mord und Tod: Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt, Jahrtausenden so schrecklich als gekannt. Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel, Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –. <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <pb facs="#f0173" n="161"/> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Nereus.</hi> </speaker><lb/> <p>Sind’s Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt?<lb/> Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!<lb/> Gebilde, strebsam Götter zu erreichen,<lb/> Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen.<lb/> Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn,<lb/> Doch trieb mich’s an den Besten wohlzuthun;<lb/> Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte Thaten,<lb/> So war es ganz als hätt’ ich nicht gerathen.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Thales.</hi> </speaker><lb/> <p>Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir;<lb/> Du bist der Weise, treib’ uns nicht von hier!<lb/> Schau’ diese Flamme, menschenähnlich zwar,<lb/> Sie deinem Rath ergibt sich ganz und gar.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Nereus.</hi> </speaker><lb/> <p>Was Rath! Hat Rath bei Menschen je gegolten?<lb/> Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.<lb/> So oft auch That sich grimmig selbst gescholten,<lb/> Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.<lb/> Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt,<lb/> Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.<lb/> Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,<lb/> Ihm kündet ich was ich im Geiste sah:<lb/> Die Lüfte qualmend, überströmend Roth,<lb/> Gebälke glühend, unten Mord und Tod:<lb/> Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,<lb/> Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.<lb/> Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel,<lb/> Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –.<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [161/0173]
Nereus.
Sind’s Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt?
Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!
Gebilde, strebsam Götter zu erreichen,
Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen.
Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn,
Doch trieb mich’s an den Besten wohlzuthun;
Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte Thaten,
So war es ganz als hätt’ ich nicht gerathen.
Thales.
Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir;
Du bist der Weise, treib’ uns nicht von hier!
Schau’ diese Flamme, menschenähnlich zwar,
Sie deinem Rath ergibt sich ganz und gar.
Nereus.
Was Rath! Hat Rath bei Menschen je gegolten?
Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
So oft auch That sich grimmig selbst gescholten,
Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.
Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt,
Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.
Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,
Ihm kündet ich was ich im Geiste sah:
Die Lüfte qualmend, überströmend Roth,
Gebälke glühend, unten Mord und Tod:
Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,
Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.
Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel,
Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832/173 |
Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832/173>, abgerufen am 18.07.2024. |