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Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.

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Was plagt ihr armen Thoren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag' euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen ist schwer -- --
Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
Dichter.
Geh hin und such dir einen andern Knecht!
Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge
Verdrießlich durch einander klingt;
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?
Was plagt ihr armen Thoren viel,
Zu ſolchem Zweck, die holden Muſen?
Ich ſag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
So koͤnnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
Sucht nur die Menſchen zu verwirren,
Sie zu befriedigen iſt ſchwer — —
Was faͤllt euch an? Entzuͤckung oder Schmerzen?
Dichter.
Geh hin und ſuch dir einen andern Knecht!
Der Dichter ſollte wohl das hoͤchſte Recht,
Das Menſchenrecht, das ihm Natur vergoͤnnt,
Um deinetwillen freventlich verſcherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch beſiegt er jedes Element?
Iſt es der Einklang nicht? der aus dem Buſen dringt,
Und in ſein Herz die Welt zuruͤcke ſchlingt.
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Laͤnge,
Gleichguͤltig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Weſen unharmon’ſche Menge
Verdrießlich durch einander klingt;
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß ſie ſich rythmiſch regt?
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[14/0020] Was plagt ihr armen Thoren viel, Zu ſolchem Zweck, die holden Muſen? Ich ſag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr, So koͤnnt ihr euch vom Ziele nie verirren, Sucht nur die Menſchen zu verwirren, Sie zu befriedigen iſt ſchwer — — Was faͤllt euch an? Entzuͤckung oder Schmerzen? Dichter. Geh hin und ſuch dir einen andern Knecht! Der Dichter ſollte wohl das hoͤchſte Recht, Das Menſchenrecht, das ihm Natur vergoͤnnt, Um deinetwillen freventlich verſcherzen! Wodurch bewegt er alle Herzen? Wodurch beſiegt er jedes Element? Iſt es der Einklang nicht? der aus dem Buſen dringt, Und in ſein Herz die Welt zuruͤcke ſchlingt. Wenn die Natur des Fadens ew’ge Laͤnge, Gleichguͤltig drehend, auf die Spindel zwingt, Wenn aller Weſen unharmon’ſche Menge Verdrießlich durch einander klingt; Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe Belebend ab, daß ſie ſich rythmiſch regt?

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/20>, abgerufen am 28.03.2024.