Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft, Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören. Director. Besonders aber laßt genug geschehn! Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn. Wird vieles vor den Augen abgesponnen, So daß die Menge staunend gaffen kann, Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen, Ihr seyd ein vielgeliebter Mann. Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen, Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken! Solch ein Ragout es muß euch glücken; Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht. Was hilft's wenn ihr ein Ganzes dargebracht, Das Publikum wird es euch doch zerpflücken. Dichter. Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey! Wie wenig das den ächten Künstler zieme!
Vernunft, Verſtand, Empfindung, Leidenſchaft, Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hoͤren. Director. Beſonders aber laßt genug geſchehn! Man kommt zu ſchaun, man will am liebſten ſehn. Wird vieles vor den Augen abgeſponnen, So daß die Menge ſtaunend gaffen kann, Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen, Ihr ſeyd ein vielgeliebter Mann. Die Maſſe koͤnnt ihr nur durch Maſſe zwingen, Ein jeder ſucht ſich endlich ſelbſt was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. Gebt ihr ein Stuͤck, ſo gebt es gleich in Stuͤcken! Solch ein Ragout es muß euch gluͤcken; Leicht iſt es vorgelegt, ſo leicht als ausgedacht. Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht, Das Publikum wird es euch doch zerpfluͤcken. Dichter. Ihr fuͤhlet nicht wie ſchlecht ein ſolches Handwerk ſey! Wie wenig das den aͤchten Kuͤnſtler zieme! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#LUPERS"> <p><pb facs="#f0018" n="12"/> Vernunft, Verſtand, Empfindung, Leidenſchaft,<lb/> Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hoͤren.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIR"> <speaker><hi rendition="#g">Director</hi>.</speaker><lb/> <p>Beſonders aber laßt genug geſchehn!<lb/> Man kommt zu ſchaun, man will am liebſten ſehn.<lb/> Wird vieles vor den Augen abgeſponnen,<lb/> So daß die Menge ſtaunend gaffen kann,<lb/> Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,<lb/> Ihr ſeyd ein vielgeliebter Mann.<lb/> Die Maſſe koͤnnt ihr nur durch Maſſe zwingen,<lb/> Ein jeder ſucht ſich endlich ſelbſt was aus.<lb/> Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;<lb/> Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.<lb/> Gebt ihr ein Stuͤck, ſo gebt es gleich in Stuͤcken!<lb/> Solch ein Ragout es muß euch gluͤcken;<lb/> Leicht iſt es vorgelegt, ſo leicht als ausgedacht.<lb/> Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,<lb/> Das Publikum wird es euch doch zerpfluͤcken.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIC"> <speaker><hi rendition="#g">Dichter</hi>.</speaker><lb/> <p>Ihr fuͤhlet nicht wie ſchlecht ein ſolches Handwerk ſey!<lb/> Wie wenig das den aͤchten Kuͤnſtler zieme!<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [12/0018]
Vernunft, Verſtand, Empfindung, Leidenſchaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hoͤren.
Director.
Beſonders aber laßt genug geſchehn!
Man kommt zu ſchaun, man will am liebſten ſehn.
Wird vieles vor den Augen abgeſponnen,
So daß die Menge ſtaunend gaffen kann,
Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr ſeyd ein vielgeliebter Mann.
Die Maſſe koͤnnt ihr nur durch Maſſe zwingen,
Ein jeder ſucht ſich endlich ſelbſt was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt ihr ein Stuͤck, ſo gebt es gleich in Stuͤcken!
Solch ein Ragout es muß euch gluͤcken;
Leicht iſt es vorgelegt, ſo leicht als ausgedacht.
Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
Das Publikum wird es euch doch zerpfluͤcken.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust01_1808/18>, abgerufen am 16.07.2024. |