Kleine Schriften, herausgegeben von G. Schatz 1762. Zweyter Theil S. 324. f.
"Der Eindruck, den ein leuchtender Gegenstand auf die Sehnerven macht, dauert zwanzig bis dreyßig Sekunden. Sieht man an einem heitern Tage, wenn man im Zimmer sitzt, eine Zeit lang in die Mitte eines Fensters, und schließt sodann die Augen, so bleibt die Gestalt des Fensters eine Zeit lang im Auge, und zwar so deutlich, daß man im Stande ist, die einzelnen Fächer zu zählen. Merkwürdig ist bey dieser Erfahrung der Umstand, daß der Einoruck der Form sich besser er- hält, als der Eindruck der Farbe. Denn sobald man die Augen schließt, scheinen die Glasfächer, wenn man das Bild des Fensters anfängt wahrzunehmen, dunkel, die Querhölzer der Kreuze aber, die Rahmen und die Wand umher weiß oder glänzend. Vermehrt man je- doch die Dunkelheit der Augen dadurch, daß man die Hände über sie hält, so erfolgt sogleich das Gegentheil. Die Fächer erscheinen leuchtend und die Querhölzer dun- kel. Zieht man die Hand weg, so erfolgt eine neue Veränderung, die alles wieder in den ersten Stand setzt. Ein Phänomen, das ich so wenig zu erklären weiß, als folgendes. Hat man lange durch eine ge- meine, grüne, oder sogenannte Conservationsbrille ge- sehn, und nimmt sie nun ab, so steht das weiße Pa- pier eines Buchs röthlich aus, so wie es grünlich aus-
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Benjamin Franklin.
Kleine Schriften, herausgegeben von G. Schatz 1762. Zweyter Theil S. 324. f.
„Der Eindruck, den ein leuchtender Gegenſtand auf die Sehnerven macht, dauert zwanzig bis dreyßig Sekunden. Sieht man an einem heitern Tage, wenn man im Zimmer ſitzt, eine Zeit lang in die Mitte eines Fenſters, und ſchließt ſodann die Augen, ſo bleibt die Geſtalt des Fenſters eine Zeit lang im Auge, und zwar ſo deutlich, daß man im Stande iſt, die einzelnen Faͤcher zu zaͤhlen. Merkwuͤrdig iſt bey dieſer Erfahrung der Umſtand, daß der Einoruck der Form ſich beſſer er- haͤlt, als der Eindruck der Farbe. Denn ſobald man die Augen ſchließt, ſcheinen die Glasfaͤcher, wenn man das Bild des Fenſters anfaͤngt wahrzunehmen, dunkel, die Querhoͤlzer der Kreuze aber, die Rahmen und die Wand umher weiß oder glaͤnzend. Vermehrt man je- doch die Dunkelheit der Augen dadurch, daß man die Haͤnde uͤber ſie haͤlt, ſo erfolgt ſogleich das Gegentheil. Die Faͤcher erſcheinen leuchtend und die Querhoͤlzer dun- kel. Zieht man die Hand weg, ſo erfolgt eine neue Veraͤnderung, die alles wieder in den erſten Stand ſetzt. Ein Phaͤnomen, das ich ſo wenig zu erklaͤren weiß, als folgendes. Hat man lange durch eine ge- meine, gruͤne, oder ſogenannte Conſervationsbrille ge- ſehn, und nimmt ſie nun ab, ſo ſteht das weiße Pa- pier eines Buchs roͤthlich aus, ſo wie es gruͤnlich aus-
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Benjamin Franklin.
Kleine Schriften, herausgegeben von G. Schatz
1762. Zweyter Theil S. 324. f.
„Der Eindruck, den ein leuchtender Gegenſtand
auf die Sehnerven macht, dauert zwanzig bis dreyßig
Sekunden. Sieht man an einem heitern Tage, wenn
man im Zimmer ſitzt, eine Zeit lang in die Mitte eines
Fenſters, und ſchließt ſodann die Augen, ſo bleibt die
Geſtalt des Fenſters eine Zeit lang im Auge, und zwar
ſo deutlich, daß man im Stande iſt, die einzelnen
Faͤcher zu zaͤhlen. Merkwuͤrdig iſt bey dieſer Erfahrung
der Umſtand, daß der Einoruck der Form ſich beſſer er-
haͤlt, als der Eindruck der Farbe. Denn ſobald man
die Augen ſchließt, ſcheinen die Glasfaͤcher, wenn man
das Bild des Fenſters anfaͤngt wahrzunehmen, dunkel,
die Querhoͤlzer der Kreuze aber, die Rahmen und die
Wand umher weiß oder glaͤnzend. Vermehrt man je-
doch die Dunkelheit der Augen dadurch, daß man die
Haͤnde uͤber ſie haͤlt, ſo erfolgt ſogleich das Gegentheil.
Die Faͤcher erſcheinen leuchtend und die Querhoͤlzer dun-
kel. Zieht man die Hand weg, ſo erfolgt eine neue
Veraͤnderung, die alles wieder in den erſten Stand
ſetzt. Ein Phaͤnomen, das ich ſo wenig zu erklaͤren
weiß, als folgendes. Hat man lange durch eine ge-
meine, gruͤne, oder ſogenannte Conſervationsbrille ge-
ſehn, und nimmt ſie nun ab, ſo ſteht das weiße Pa-
pier eines Buchs roͤthlich aus, ſo wie es gruͤnlich aus-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/613>, abgerufen am 22.11.2024.
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