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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Von den andern Farben ist nun zu handeln, auf
wie vielerley Art sie entstehen. Einmal können sie so
entstehen, daß wenn Schwarz und Weiß neben ein-
ander liegen, eins wie das andre aber wegen ihrer
Kleinheit unsichtbar sind, dennoch Etwas aus ihnen ent-
springe, welches sichtbar wird. Dieses kann nun we-
der schwarz, noch auch weiß seyn; da es aber doch
eine Farbe seyn muß, so muß sie eine gemischte seyn
und einen andern Anblick gewähren.

Auf diese Weise können nun sehr viele Farben,
außer dem Weißen und Schwarzen, entstehen. Einige
durch Verhältnisse, indem sie wie drey zu zwey, drey
zu viere und so fort in andern Portionen neben einan-
der liegen. Andre hingegen nicht durch Zahlenverhält-
nisse, sondern durch ein ineommensurables Plus oder
Minus. So können sie sich verhalten z. E. wie die
Consonanzen in der Musik, daß nehmlich die Farben
von den leichtesten Zahlenverhältnissen, gerade wie die
Consonanzen, als die angenehmsten erschienen, z. B.
Violett und Roth, und einige andre dergleichen. Daher
auch nur wenige Consonanzen sind. Andre ferner, die
nicht in solchen Verhältnissen bestehen, würden die übri-
gen Farben ausmachen. Oder auch, alle Farben, so-
wohl die in einer Ordnung als die in keiner bestehen,
beruhten auf Zahlenverhältnissen, und selbst diese, wenn
sie nicht rein sind, weil sie auf keinem Zahlenverhält-
niß beruhen, müßten es dennoch werden.

Dieß ist nun Eine Art der Farbenentstehung. Eine
andre Art ist, wenn sie durch einander erscheinen; wie
z. B. die Maler thun, daß sie eine Farbe über eine

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Von den andern Farben iſt nun zu handeln, auf
wie vielerley Art ſie entſtehen. Einmal koͤnnen ſie ſo
entſtehen, daß wenn Schwarz und Weiß neben ein-
ander liegen, eins wie das andre aber wegen ihrer
Kleinheit unſichtbar ſind, dennoch Etwas aus ihnen ent-
ſpringe, welches ſichtbar wird. Dieſes kann nun we-
der ſchwarz, noch auch weiß ſeyn; da es aber doch
eine Farbe ſeyn muß, ſo muß ſie eine gemiſchte ſeyn
und einen andern Anblick gewaͤhren.

Auf dieſe Weiſe koͤnnen nun ſehr viele Farben,
außer dem Weißen und Schwarzen, entſtehen. Einige
durch Verhaͤltniſſe, indem ſie wie drey zu zwey, drey
zu viere und ſo fort in andern Portionen neben einan-
der liegen. Andre hingegen nicht durch Zahlenverhaͤlt-
niſſe, ſondern durch ein ineommenſurables Plus oder
Minus. So koͤnnen ſie ſich verhalten z. E. wie die
Conſonanzen in der Muſik, daß nehmlich die Farben
von den leichteſten Zahlenverhaͤltniſſen, gerade wie die
Conſonanzen, als die angenehmſten erſchienen, z. B.
Violett und Roth, und einige andre dergleichen. Daher
auch nur wenige Conſonanzen ſind. Andre ferner, die
nicht in ſolchen Verhaͤltniſſen beſtehen, wuͤrden die uͤbri-
gen Farben ausmachen. Oder auch, alle Farben, ſo-
wohl die in einer Ordnung als die in keiner beſtehen,
beruhten auf Zahlenverhaͤltniſſen, und ſelbſt dieſe, wenn
ſie nicht rein ſind, weil ſie auf keinem Zahlenverhaͤlt-
niß beruhen, muͤßten es dennoch werden.

Dieß iſt nun Eine Art der Farbenentſtehung. Eine
andre Art iſt, wenn ſie durch einander erſcheinen; wie
z. B. die Maler thun, daß ſie eine Farbe uͤber eine

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[19/0053] Von den andern Farben iſt nun zu handeln, auf wie vielerley Art ſie entſtehen. Einmal koͤnnen ſie ſo entſtehen, daß wenn Schwarz und Weiß neben ein- ander liegen, eins wie das andre aber wegen ihrer Kleinheit unſichtbar ſind, dennoch Etwas aus ihnen ent- ſpringe, welches ſichtbar wird. Dieſes kann nun we- der ſchwarz, noch auch weiß ſeyn; da es aber doch eine Farbe ſeyn muß, ſo muß ſie eine gemiſchte ſeyn und einen andern Anblick gewaͤhren. Auf dieſe Weiſe koͤnnen nun ſehr viele Farben, außer dem Weißen und Schwarzen, entſtehen. Einige durch Verhaͤltniſſe, indem ſie wie drey zu zwey, drey zu viere und ſo fort in andern Portionen neben einan- der liegen. Andre hingegen nicht durch Zahlenverhaͤlt- niſſe, ſondern durch ein ineommenſurables Plus oder Minus. So koͤnnen ſie ſich verhalten z. E. wie die Conſonanzen in der Muſik, daß nehmlich die Farben von den leichteſten Zahlenverhaͤltniſſen, gerade wie die Conſonanzen, als die angenehmſten erſchienen, z. B. Violett und Roth, und einige andre dergleichen. Daher auch nur wenige Conſonanzen ſind. Andre ferner, die nicht in ſolchen Verhaͤltniſſen beſtehen, wuͤrden die uͤbri- gen Farben ausmachen. Oder auch, alle Farben, ſo- wohl die in einer Ordnung als die in keiner beſtehen, beruhten auf Zahlenverhaͤltniſſen, und ſelbſt dieſe, wenn ſie nicht rein ſind, weil ſie auf keinem Zahlenverhaͤlt- niß beruhen, muͤßten es dennoch werden. Dieß iſt nun Eine Art der Farbenentſtehung. Eine andre Art iſt, wenn ſie durch einander erſcheinen; wie z. B. die Maler thun, daß ſie eine Farbe uͤber eine 2 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/53>, abgerufen am 28.03.2024.