Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Daher nannten auch die Pythagoreer die Oberfläche
Farbe. Nun ist aber die Farbe in der Gränze des
Körpers und nicht selbst die Gränze; sondern dieselbe
färbende Natur, die man außen annimmt, muß man
auch innerhalb annehmen.

Luft und Wasser erscheinen gefärbt: denn ihr
Aussehen (auge) ist ein solches. Aber weil dort die
Farbe in einem Unbegränzten ist, zeigen beyde in der
Nähe und in der Ferne nicht einerley Farbe. In
(festen) Körpern aber ist die Erscheinung der Farbe
eine bestimmte, wenn nicht etwa das, was den Kör-
per einschließt, eine Veränderung hervorbringt. Es
ist also klar, daß ein und dasselbe der Farbe Em-
pfängliche, so wohl dort als hier statt findet. Das
Durchsichtige also, in so fern es den Körpern in-
wohnt, und das ist mehr oder weniger der Fall,
macht sie alle der Farbe fähig oder theilhaft. Da
nun die Farbe in der Gränze des Körpers ist,
so ist sie auch in der Gränze des Durchsichtigen, so
daß also Farbe die Gränze des Durchsichtigen an
dem begränzten Körper wäre. Den durchsichtigen
Körpern selbst, als dem Wasser und was sonst der
Art ist, und was eine eigene Farbe hat, diesen
allen wohnt sie bey im Aeußersten.

In dem Durchsichtigen nun ist dasjenige, wodurch
auch in der Luft das Licht hervorgebracht wird, bald
wirklich vorhanden, bald nicht, sondern entnommen.
So wie nun dort bald Licht, bald Finsterniß statt
findet, so ist auch in den Körpern Weiß und Schwarz.

Daher nannten auch die Pythagoreer die Oberflaͤche
Farbe. Nun iſt aber die Farbe in der Graͤnze des
Koͤrpers und nicht ſelbſt die Graͤnze; ſondern dieſelbe
faͤrbende Natur, die man außen annimmt, muß man
auch innerhalb annehmen.

Luft und Waſſer erſcheinen gefaͤrbt: denn ihr
Ausſehen (αὐγή) iſt ein ſolches. Aber weil dort die
Farbe in einem Unbegraͤnzten iſt, zeigen beyde in der
Naͤhe und in der Ferne nicht einerley Farbe. In
(feſten) Koͤrpern aber iſt die Erſcheinung der Farbe
eine beſtimmte, wenn nicht etwa das, was den Koͤr-
per einſchließt, eine Veraͤnderung hervorbringt. Es
iſt alſo klar, daß ein und daſſelbe der Farbe Em-
pfaͤngliche, ſo wohl dort als hier ſtatt findet. Das
Durchſichtige alſo, in ſo fern es den Koͤrpern in-
wohnt, und das iſt mehr oder weniger der Fall,
macht ſie alle der Farbe faͤhig oder theilhaft. Da
nun die Farbe in der Graͤnze des Koͤrpers iſt,
ſo iſt ſie auch in der Graͤnze des Durchſichtigen, ſo
daß alſo Farbe die Graͤnze des Durchſichtigen an
dem begraͤnzten Koͤrper waͤre. Den durchſichtigen
Koͤrpern ſelbſt, als dem Waſſer und was ſonſt der
Art iſt, und was eine eigene Farbe hat, dieſen
allen wohnt ſie bey im Aeußerſten.

In dem Durchſichtigen nun iſt dasjenige, wodurch
auch in der Luft das Licht hervorgebracht wird, bald
wirklich vorhanden, bald nicht, ſondern entnommen.
So wie nun dort bald Licht, bald Finſterniß ſtatt
findet, ſo iſt auch in den Koͤrpern Weiß und Schwarz.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0052" n="18"/>
Daher nannten auch die Pythagoreer die Oberfla&#x0364;che<lb/>
Farbe. Nun i&#x017F;t aber die Farbe in der Gra&#x0364;nze des<lb/>
Ko&#x0364;rpers und nicht &#x017F;elb&#x017F;t die Gra&#x0364;nze; &#x017F;ondern die&#x017F;elbe<lb/>
fa&#x0364;rbende Natur, die man außen annimmt, muß man<lb/>
auch innerhalb annehmen.</p><lb/>
          <p>Luft und Wa&#x017F;&#x017F;er er&#x017F;cheinen gefa&#x0364;rbt: denn ihr<lb/>
Aus&#x017F;ehen (&#x03B1;&#x1F50;&#x03B3;&#x03AE;) i&#x017F;t ein &#x017F;olches. Aber weil dort die<lb/>
Farbe in einem Unbegra&#x0364;nzten i&#x017F;t, zeigen beyde in der<lb/>
Na&#x0364;he und in der Ferne nicht einerley Farbe. In<lb/>
(fe&#x017F;ten) Ko&#x0364;rpern aber i&#x017F;t die Er&#x017F;cheinung der Farbe<lb/>
eine be&#x017F;timmte, wenn nicht etwa das, was den Ko&#x0364;r-<lb/>
per ein&#x017F;chließt, eine Vera&#x0364;nderung hervorbringt. Es<lb/>
i&#x017F;t al&#x017F;o klar, daß ein und da&#x017F;&#x017F;elbe der Farbe Em-<lb/>
pfa&#x0364;ngliche, &#x017F;o wohl dort als hier &#x017F;tatt findet. Das<lb/>
Durch&#x017F;ichtige al&#x017F;o, in &#x017F;o fern es den Ko&#x0364;rpern in-<lb/>
wohnt, und das i&#x017F;t mehr oder weniger der Fall,<lb/>
macht &#x017F;ie alle der Farbe fa&#x0364;hig oder theilhaft. Da<lb/>
nun die Farbe in der Gra&#x0364;nze des Ko&#x0364;rpers i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie auch in der Gra&#x0364;nze des Durch&#x017F;ichtigen, &#x017F;o<lb/>
daß al&#x017F;o Farbe die Gra&#x0364;nze des Durch&#x017F;ichtigen an<lb/>
dem begra&#x0364;nzten Ko&#x0364;rper wa&#x0364;re. Den durch&#x017F;ichtigen<lb/>
Ko&#x0364;rpern &#x017F;elb&#x017F;t, als dem Wa&#x017F;&#x017F;er und was &#x017F;on&#x017F;t der<lb/>
Art i&#x017F;t, und was eine eigene Farbe hat, die&#x017F;en<lb/>
allen wohnt &#x017F;ie bey im Aeußer&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>In dem Durch&#x017F;ichtigen nun i&#x017F;t dasjenige, wodurch<lb/>
auch in der Luft das Licht hervorgebracht wird, bald<lb/>
wirklich vorhanden, bald nicht, &#x017F;ondern entnommen.<lb/>
So wie nun dort bald Licht, bald Fin&#x017F;terniß &#x017F;tatt<lb/>
findet, &#x017F;o i&#x017F;t auch in den Ko&#x0364;rpern Weiß und Schwarz.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0052] Daher nannten auch die Pythagoreer die Oberflaͤche Farbe. Nun iſt aber die Farbe in der Graͤnze des Koͤrpers und nicht ſelbſt die Graͤnze; ſondern dieſelbe faͤrbende Natur, die man außen annimmt, muß man auch innerhalb annehmen. Luft und Waſſer erſcheinen gefaͤrbt: denn ihr Ausſehen (αὐγή) iſt ein ſolches. Aber weil dort die Farbe in einem Unbegraͤnzten iſt, zeigen beyde in der Naͤhe und in der Ferne nicht einerley Farbe. In (feſten) Koͤrpern aber iſt die Erſcheinung der Farbe eine beſtimmte, wenn nicht etwa das, was den Koͤr- per einſchließt, eine Veraͤnderung hervorbringt. Es iſt alſo klar, daß ein und daſſelbe der Farbe Em- pfaͤngliche, ſo wohl dort als hier ſtatt findet. Das Durchſichtige alſo, in ſo fern es den Koͤrpern in- wohnt, und das iſt mehr oder weniger der Fall, macht ſie alle der Farbe faͤhig oder theilhaft. Da nun die Farbe in der Graͤnze des Koͤrpers iſt, ſo iſt ſie auch in der Graͤnze des Durchſichtigen, ſo daß alſo Farbe die Graͤnze des Durchſichtigen an dem begraͤnzten Koͤrper waͤre. Den durchſichtigen Koͤrpern ſelbſt, als dem Waſſer und was ſonſt der Art iſt, und was eine eigene Farbe hat, dieſen allen wohnt ſie bey im Aeußerſten. In dem Durchſichtigen nun iſt dasjenige, wodurch auch in der Luft das Licht hervorgebracht wird, bald wirklich vorhanden, bald nicht, ſondern entnommen. So wie nun dort bald Licht, bald Finſterniß ſtatt findet, ſo iſt auch in den Koͤrpern Weiß und Schwarz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/52
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/52>, abgerufen am 27.04.2024.