genschaften auf ihrer Weise verharret und sich durch nichts davon abwendig machen läßt.
Einen starken Character nennt man, wenn er sich allen äußerlichen Hindernissen mächtig entgegensetzt und seine Eigenthümlichkeit, selbst mit Gefahr seine Per- sönlichkeit zu verlieren, durchzusetzen sucht. Einen gro- ßen Character nennt man, wenn die Stärke desselben zugleich mit großen unübersehlichen, unendlichen Eigen- schaften, Fähigkeiten, verbunden ist und durch ihn ganz originelle unerwartete Absichten, Plane und Tha- ten zum Vorschein kommen.
Ob nun gleich Jeder wohl einsieht, daß hier ei- gentlich das Ueberschwängliche, wie überhaupt, die Größe macht; so muß man sich doch ja nicht irren, und etwa glauben, daß hier von einem Sittlichen die Rede sey. Das Hauptfundament des Sittlichen ist der gute Wille, der seiner Natur nach nur aufs Rechte gerichtet seyn kann; das Hauptfundament des Charac- ters ist das entschiedene Wollen, ohne Rücksicht auf Recht und Unrecht, auf Gut und Böse, auf Wahr- heit oder Irrthum: es ist das was jede Partey an den ihrigen so höchlich schätzt. Der Wille gehört der Frey- heit, er bezieht sich auf den innern Menschen, auf den Zweck; das Wollen gehört der Natur und bezieht sich auf die äußere Welt, auf die That: und weil das irdische Wollen nur immer ein beschränktes seyn kann, so läßt sich beynahe voraussetzen, daß in der Ausübung
genſchaften auf ihrer Weiſe verharret und ſich durch nichts davon abwendig machen laͤßt.
Einen ſtarken Character nennt man, wenn er ſich allen aͤußerlichen Hinderniſſen maͤchtig entgegenſetzt und ſeine Eigenthuͤmlichkeit, ſelbſt mit Gefahr ſeine Per- ſoͤnlichkeit zu verlieren, durchzuſetzen ſucht. Einen gro- ßen Character nennt man, wenn die Staͤrke deſſelben zugleich mit großen unuͤberſehlichen, unendlichen Eigen- ſchaften, Faͤhigkeiten, verbunden iſt und durch ihn ganz originelle unerwartete Abſichten, Plane und Tha- ten zum Vorſchein kommen.
Ob nun gleich Jeder wohl einſieht, daß hier ei- gentlich das Ueberſchwaͤngliche, wie uͤberhaupt, die Groͤße macht; ſo muß man ſich doch ja nicht irren, und etwa glauben, daß hier von einem Sittlichen die Rede ſey. Das Hauptfundament des Sittlichen iſt der gute Wille, der ſeiner Natur nach nur aufs Rechte gerichtet ſeyn kann; das Hauptfundament des Charac- ters iſt das entſchiedene Wollen, ohne Ruͤckſicht auf Recht und Unrecht, auf Gut und Boͤſe, auf Wahr- heit oder Irrthum: es iſt das was jede Partey an den ihrigen ſo hoͤchlich ſchaͤtzt. Der Wille gehoͤrt der Frey- heit, er bezieht ſich auf den innern Menſchen, auf den Zweck; das Wollen gehoͤrt der Natur und bezieht ſich auf die aͤußere Welt, auf die That: und weil das irdiſche Wollen nur immer ein beſchraͤnktes ſeyn kann, ſo laͤßt ſich beynahe vorausſetzen, daß in der Ausuͤbung
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genſchaften auf ihrer Weiſe verharret und ſich durch
nichts davon abwendig machen laͤßt.
Einen ſtarken Character nennt man, wenn er ſich
allen aͤußerlichen Hinderniſſen maͤchtig entgegenſetzt und
ſeine Eigenthuͤmlichkeit, ſelbſt mit Gefahr ſeine Per-
ſoͤnlichkeit zu verlieren, durchzuſetzen ſucht. Einen gro-
ßen Character nennt man, wenn die Staͤrke deſſelben
zugleich mit großen unuͤberſehlichen, unendlichen Eigen-
ſchaften, Faͤhigkeiten, verbunden iſt und durch ihn
ganz originelle unerwartete Abſichten, Plane und Tha-
ten zum Vorſchein kommen.
Ob nun gleich Jeder wohl einſieht, daß hier ei-
gentlich das Ueberſchwaͤngliche, wie uͤberhaupt, die
Groͤße macht; ſo muß man ſich doch ja nicht irren,
und etwa glauben, daß hier von einem Sittlichen die
Rede ſey. Das Hauptfundament des Sittlichen iſt
der gute Wille, der ſeiner Natur nach nur aufs Rechte
gerichtet ſeyn kann; das Hauptfundament des Charac-
ters iſt das entſchiedene Wollen, ohne Ruͤckſicht auf
Recht und Unrecht, auf Gut und Boͤſe, auf Wahr-
heit oder Irrthum: es iſt das was jede Partey an den
ihrigen ſo hoͤchlich ſchaͤtzt. Der Wille gehoͤrt der Frey-
heit, er bezieht ſich auf den innern Menſchen, auf den
Zweck; das Wollen gehoͤrt der Natur und bezieht ſich
auf die aͤußere Welt, auf die That: und weil das
irdiſche Wollen nur immer ein beſchraͤnktes ſeyn kann,
ſo laͤßt ſich beynahe vorausſetzen, daß in der Ausuͤbung
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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