Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

hingegen, welche erst gegen Mariotte gerichtet sind,
soll das wirklich geleistet seyn, was versprochen worden.
Wie captios und unredlich auch er hier zu Werke gehe,
kann man daraus sehen, daß er wiederholt sagt: mit
dem Rothen gelang mirs sehr gut, und so auch mit
den übrigen. Warum sagt er denn nicht: es gelang
mir mit allen Farben? oder warum fängt er nicht mit
einer andern an? Alles dieses ist schon von uns bis
zum Ueberdruß im polemischen Theile auseinandergesetzt.
Besonders ist es in der supplementaren Abhandlung
über die Verbindung der Prismen und Linsen bey
Experimenten, ausführlich geschehen und zugleich das
elfte Experiment wiederholt beleuchtet worden.

Aber hier macht sich eine allgemeine Betrachtung
nöthig. Das was Desaguliers gegen Mariotte und
später gegen Rizzetti versucht und vorgetragen, wird
von der Newtonischen Schule seit hundert Jahren als
ein Schlußverfahren angesehn. Wie war es möglich,
daß ein solcher Unsinn sich in einer Erfahrungswissen-
schaft einschleichen konnte? Dieses zu beantworten,
müssen wir darauf aufmerksam machen, daß, wie sich
in die Wissenschaften ethische Beweggründe mehr als
man glaubt, einschlingen, eben so auch Staats- und
Rechts-Motive und Maximen darin zur Ausübung
gebracht werden. Ein schließliches Aburtheln, ohne
weitere Appellation zuzulassen, geziemt wohl einem
Gerichtshofe. Wenn vor hundert Jahren ein Ver-
brecher vor die Geschworenen gebracht, von diesen
schuldig befunden, und sodann aufgehangen worden;

hingegen, welche erſt gegen Mariotte gerichtet ſind,
ſoll das wirklich geleiſtet ſeyn, was verſprochen worden.
Wie captios und unredlich auch er hier zu Werke gehe,
kann man daraus ſehen, daß er wiederholt ſagt: mit
dem Rothen gelang mirs ſehr gut, und ſo auch mit
den uͤbrigen. Warum ſagt er denn nicht: es gelang
mir mit allen Farben? oder warum faͤngt er nicht mit
einer andern an? Alles dieſes iſt ſchon von uns bis
zum Ueberdruß im polemiſchen Theile auseinandergeſetzt.
Beſonders iſt es in der ſupplementaren Abhandlung
uͤber die Verbindung der Prismen und Linſen bey
Experimenten, ausfuͤhrlich geſchehen und zugleich das
elfte Experiment wiederholt beleuchtet worden.

Aber hier macht ſich eine allgemeine Betrachtung
noͤthig. Das was Desaguliers gegen Mariotte und
ſpaͤter gegen Rizzetti verſucht und vorgetragen, wird
von der Newtoniſchen Schule ſeit hundert Jahren als
ein Schlußverfahren angeſehn. Wie war es moͤglich,
daß ein ſolcher Unſinn ſich in einer Erfahrungswiſſen-
ſchaft einſchleichen konnte? Dieſes zu beantworten,
muͤſſen wir darauf aufmerkſam machen, daß, wie ſich
in die Wiſſenſchaften ethiſche Beweggruͤnde mehr als
man glaubt, einſchlingen, eben ſo auch Staats- und
Rechts-Motive und Maximen darin zur Ausuͤbung
gebracht werden. Ein ſchließliches Aburtheln, ohne
weitere Appellation zuzulaſſen, geziemt wohl einem
Gerichtshofe. Wenn vor hundert Jahren ein Ver-
brecher vor die Geſchworenen gebracht, von dieſen
ſchuldig befunden, und ſodann aufgehangen worden;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0495" n="461"/>
hingegen, welche er&#x017F;t gegen Mariotte gerichtet &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;oll das wirklich gelei&#x017F;tet &#x017F;eyn, was ver&#x017F;prochen worden.<lb/>
Wie captios und unredlich auch er hier zu Werke gehe,<lb/>
kann man daraus &#x017F;ehen, daß er wiederholt &#x017F;agt: mit<lb/>
dem Rothen gelang mirs &#x017F;ehr gut, und &#x017F;o auch mit<lb/>
den u&#x0364;brigen. Warum &#x017F;agt er denn nicht: es gelang<lb/>
mir mit allen Farben? oder warum fa&#x0364;ngt er nicht mit<lb/>
einer andern an? Alles die&#x017F;es i&#x017F;t &#x017F;chon von uns bis<lb/>
zum Ueberdruß im polemi&#x017F;chen Theile auseinanderge&#x017F;etzt.<lb/>
Be&#x017F;onders i&#x017F;t es in der &#x017F;upplementaren Abhandlung<lb/>
u&#x0364;ber die Verbindung der Prismen und Lin&#x017F;en bey<lb/>
Experimenten, ausfu&#x0364;hrlich ge&#x017F;chehen und zugleich das<lb/>
elfte Experiment wiederholt beleuchtet worden.</p><lb/>
            <p>Aber hier macht &#x017F;ich eine allgemeine Betrachtung<lb/>
no&#x0364;thig. Das was Desaguliers gegen Mariotte und<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;ter gegen Rizzetti ver&#x017F;ucht und vorgetragen, wird<lb/>
von der Newtoni&#x017F;chen Schule &#x017F;eit hundert Jahren als<lb/>
ein Schlußverfahren ange&#x017F;ehn. Wie war es mo&#x0364;glich,<lb/>
daß ein &#x017F;olcher Un&#x017F;inn &#x017F;ich in einer Erfahrungswi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft ein&#x017F;chleichen konnte? Die&#x017F;es zu beantworten,<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir darauf aufmerk&#x017F;am machen, daß, wie &#x017F;ich<lb/>
in die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften ethi&#x017F;che Beweggru&#x0364;nde mehr als<lb/>
man glaubt, ein&#x017F;chlingen, eben &#x017F;o auch Staats- und<lb/>
Rechts-Motive und Maximen darin zur Ausu&#x0364;bung<lb/>
gebracht werden. Ein &#x017F;chließliches Aburtheln, ohne<lb/>
weitere Appellation zuzula&#x017F;&#x017F;en, geziemt wohl einem<lb/>
Gerichtshofe. Wenn vor hundert Jahren ein Ver-<lb/>
brecher vor die Ge&#x017F;chworenen gebracht, von die&#x017F;en<lb/>
&#x017F;chuldig befunden, und &#x017F;odann aufgehangen worden;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[461/0495] hingegen, welche erſt gegen Mariotte gerichtet ſind, ſoll das wirklich geleiſtet ſeyn, was verſprochen worden. Wie captios und unredlich auch er hier zu Werke gehe, kann man daraus ſehen, daß er wiederholt ſagt: mit dem Rothen gelang mirs ſehr gut, und ſo auch mit den uͤbrigen. Warum ſagt er denn nicht: es gelang mir mit allen Farben? oder warum faͤngt er nicht mit einer andern an? Alles dieſes iſt ſchon von uns bis zum Ueberdruß im polemiſchen Theile auseinandergeſetzt. Beſonders iſt es in der ſupplementaren Abhandlung uͤber die Verbindung der Prismen und Linſen bey Experimenten, ausfuͤhrlich geſchehen und zugleich das elfte Experiment wiederholt beleuchtet worden. Aber hier macht ſich eine allgemeine Betrachtung noͤthig. Das was Desaguliers gegen Mariotte und ſpaͤter gegen Rizzetti verſucht und vorgetragen, wird von der Newtoniſchen Schule ſeit hundert Jahren als ein Schlußverfahren angeſehn. Wie war es moͤglich, daß ein ſolcher Unſinn ſich in einer Erfahrungswiſſen- ſchaft einſchleichen konnte? Dieſes zu beantworten, muͤſſen wir darauf aufmerkſam machen, daß, wie ſich in die Wiſſenſchaften ethiſche Beweggruͤnde mehr als man glaubt, einſchlingen, eben ſo auch Staats- und Rechts-Motive und Maximen darin zur Ausuͤbung gebracht werden. Ein ſchließliches Aburtheln, ohne weitere Appellation zuzulaſſen, geziemt wohl einem Gerichtshofe. Wenn vor hundert Jahren ein Ver- brecher vor die Geſchworenen gebracht, von dieſen ſchuldig befunden, und ſodann aufgehangen worden;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/495
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/495>, abgerufen am 14.05.2024.