Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

diente sich keines überdachten, ausgesuchten, fixirten
Apparats; deswegen er noch in der Optik fast bey je-
dem Versuche von vorn anfangen muß, seine Einrich-
tung umständlich zu beschreiben. Was ihm gerade zu-
fällig zur Hand liegt, wird sogleich mit gebraucht und
angewendet; daher seine Versuche voll unnützer Ne-
benbedingungen, die das Hauptinteresse nur verwirren.
Im polemischen Theile finden sich genugsame Belege
zu dieser Behauptung, und wenn Newton so verfuhr,
wie mag es bey andern ausgesehn haben!

Wenden wir uns vom Technischen zum Innern
und Geistigen, so begegnen uns folgende Betrachtungen.
Als man beym Wiederaufleben der Wissenschaften sich
nach Erfahrungen umsah und sie durch Versuche zu
wiederholen trachtete, bediente man sich dieser zu ganz
verschiedenen Zwecken.

Der schönste war und bleibt immer der, ein Na-
turphänomen das uns verschiedene Seiten bietet, in
seiner ganzen Totalität zu erkennen. Gilbert brachte
auf diesem Wege die Lehre vom Magneten weit genug,
so wie man auch, um die Elasticität der Luft und an-
dere ihrer physischen Eigenschaften kennen zu lernen,
consequent zu Werke ging. Manche Naturforscher
hingegen arbeiteten nicht in diesem Sinne; sie suchten
Phänomene aus den allgemeinsten Theorieen zu erklä-
ren, wie Descartes die Kügelchen seiner Materie, und
Boyle seine Körperfacetten zur Erklärung der Farben
anwendete. Andere wollten wieder durch Phänomene

diente ſich keines uͤberdachten, ausgeſuchten, fixirten
Apparats; deswegen er noch in der Optik faſt bey je-
dem Verſuche von vorn anfangen muß, ſeine Einrich-
tung umſtaͤndlich zu beſchreiben. Was ihm gerade zu-
faͤllig zur Hand liegt, wird ſogleich mit gebraucht und
angewendet; daher ſeine Verſuche voll unnuͤtzer Ne-
benbedingungen, die das Hauptintereſſe nur verwirren.
Im polemiſchen Theile finden ſich genugſame Belege
zu dieſer Behauptung, und wenn Newton ſo verfuhr,
wie mag es bey andern ausgeſehn haben!

Wenden wir uns vom Techniſchen zum Innern
und Geiſtigen, ſo begegnen uns folgende Betrachtungen.
Als man beym Wiederaufleben der Wiſſenſchaften ſich
nach Erfahrungen umſah und ſie durch Verſuche zu
wiederholen trachtete, bediente man ſich dieſer zu ganz
verſchiedenen Zwecken.

Der ſchoͤnſte war und bleibt immer der, ein Na-
turphaͤnomen das uns verſchiedene Seiten bietet, in
ſeiner ganzen Totalitaͤt zu erkennen. Gilbert brachte
auf dieſem Wege die Lehre vom Magneten weit genug,
ſo wie man auch, um die Elaſticitaͤt der Luft und an-
dere ihrer phyſiſchen Eigenſchaften kennen zu lernen,
conſequent zu Werke ging. Manche Naturforſcher
hingegen arbeiteten nicht in dieſem Sinne; ſie ſuchten
Phaͤnomene aus den allgemeinſten Theorieen zu erklaͤ-
ren, wie Descartes die Kuͤgelchen ſeiner Materie, und
Boyle ſeine Koͤrperfaçetten zur Erklaͤrung der Farben
anwendete. Andere wollten wieder durch Phaͤnomene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0457" n="423"/>
diente &#x017F;ich keines u&#x0364;berdachten, ausge&#x017F;uchten, fixirten<lb/>
Apparats; deswegen er noch in der Optik fa&#x017F;t bey je-<lb/>
dem Ver&#x017F;uche von vorn anfangen muß, &#x017F;eine Einrich-<lb/>
tung um&#x017F;ta&#x0364;ndlich zu be&#x017F;chreiben. Was ihm gerade zu-<lb/>
fa&#x0364;llig zur Hand liegt, wird &#x017F;ogleich mit gebraucht und<lb/>
angewendet; daher &#x017F;eine Ver&#x017F;uche voll unnu&#x0364;tzer Ne-<lb/>
benbedingungen, die das Hauptintere&#x017F;&#x017F;e nur verwirren.<lb/>
Im polemi&#x017F;chen Theile finden &#x017F;ich genug&#x017F;ame Belege<lb/>
zu die&#x017F;er Behauptung, und wenn Newton &#x017F;o verfuhr,<lb/>
wie mag es bey andern ausge&#x017F;ehn haben!</p><lb/>
            <p>Wenden wir uns vom Techni&#x017F;chen zum Innern<lb/>
und Gei&#x017F;tigen, &#x017F;o begegnen uns folgende Betrachtungen.<lb/>
Als man beym Wiederaufleben der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x017F;ich<lb/>
nach Erfahrungen um&#x017F;ah und &#x017F;ie durch Ver&#x017F;uche zu<lb/>
wiederholen trachtete, bediente man &#x017F;ich die&#x017F;er zu ganz<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Zwecken.</p><lb/>
            <p>Der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te war und bleibt immer der, ein Na-<lb/>
turpha&#x0364;nomen das uns ver&#x017F;chiedene Seiten bietet, in<lb/>
&#x017F;einer ganzen Totalita&#x0364;t zu erkennen. Gilbert brachte<lb/>
auf die&#x017F;em Wege die Lehre vom Magneten weit genug,<lb/>
&#x017F;o wie man auch, um die Ela&#x017F;ticita&#x0364;t der Luft und an-<lb/>
dere ihrer phy&#x017F;i&#x017F;chen Eigen&#x017F;chaften kennen zu lernen,<lb/>
con&#x017F;equent zu Werke ging. Manche Naturfor&#x017F;cher<lb/>
hingegen arbeiteten nicht in die&#x017F;em Sinne; &#x017F;ie &#x017F;uchten<lb/>
Pha&#x0364;nomene aus den allgemein&#x017F;ten Theorieen zu erkla&#x0364;-<lb/>
ren, wie Descartes die Ku&#x0364;gelchen &#x017F;einer Materie, und<lb/>
Boyle &#x017F;eine Ko&#x0364;rperfa<hi rendition="#aq">ç</hi>etten zur Erkla&#x0364;rung der Farben<lb/>
anwendete. Andere wollten wieder durch Pha&#x0364;nomene<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[423/0457] diente ſich keines uͤberdachten, ausgeſuchten, fixirten Apparats; deswegen er noch in der Optik faſt bey je- dem Verſuche von vorn anfangen muß, ſeine Einrich- tung umſtaͤndlich zu beſchreiben. Was ihm gerade zu- faͤllig zur Hand liegt, wird ſogleich mit gebraucht und angewendet; daher ſeine Verſuche voll unnuͤtzer Ne- benbedingungen, die das Hauptintereſſe nur verwirren. Im polemiſchen Theile finden ſich genugſame Belege zu dieſer Behauptung, und wenn Newton ſo verfuhr, wie mag es bey andern ausgeſehn haben! Wenden wir uns vom Techniſchen zum Innern und Geiſtigen, ſo begegnen uns folgende Betrachtungen. Als man beym Wiederaufleben der Wiſſenſchaften ſich nach Erfahrungen umſah und ſie durch Verſuche zu wiederholen trachtete, bediente man ſich dieſer zu ganz verſchiedenen Zwecken. Der ſchoͤnſte war und bleibt immer der, ein Na- turphaͤnomen das uns verſchiedene Seiten bietet, in ſeiner ganzen Totalitaͤt zu erkennen. Gilbert brachte auf dieſem Wege die Lehre vom Magneten weit genug, ſo wie man auch, um die Elaſticitaͤt der Luft und an- dere ihrer phyſiſchen Eigenſchaften kennen zu lernen, conſequent zu Werke ging. Manche Naturforſcher hingegen arbeiteten nicht in dieſem Sinne; ſie ſuchten Phaͤnomene aus den allgemeinſten Theorieen zu erklaͤ- ren, wie Descartes die Kuͤgelchen ſeiner Materie, und Boyle ſeine Koͤrperfaçetten zur Erklaͤrung der Farben anwendete. Andere wollten wieder durch Phaͤnomene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/457
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/457>, abgerufen am 14.05.2024.