Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Er führt ihrer sechs auf, um eine nach der andern zu
verneinen. Wir tragen sie in der Ordnung vor wie
er sie selbst aufführt, und als Fragen wie er sie gleich-
falls gestellt hat.

Erste Bedingung. Trägt die verschiedene Dicke
des Glases zur Farbenerscheinung bey?

Diese hier nur im Allgemeinen und Unbestimmten
aufgestellte Frage ward eigentlich dadurch veranlaßt:
Antonius de Dominis, Kircher und andere hatten ge-
glaubt, indem sie das Gelbe durch die Spitze des bre-
chenden Winkels oder näher an ihm, das Blaue aber
zu oberst, wo das Prisma mehrere Masse hat, hervor-
gebracht sahen, es sey die größere oder geringere Stärke
des Glases Ursache der Farbenverschiedenheit. Sie hät-
ten aber nur dürfen beym Gebrauch eines größeren
Prisma's dasselbe von unten hinauf, oder von oben her-
unter, nach und nach zudecken, so würden sie gesehen
haben, daß an jeder mittleren Stelle jede Farbe ent-
stehen kann. Und Newton hatte also ganz Recht,
wenn er in diesem Sinne die Frage mit Nein beant-
wortet.

Doch haben weder Er noch seine Nachfolger auf
den wichtigen Umstand aufmerksam gemacht, daß die
Stärke oder die Schwäche des Mittels überhaupt, zwar
nicht zur Entstehung der verschiedenen Farben, aber
doch zum Wachsthum oder zur Verminderung der Er-
scheinung sehr viel beytrage, wie wir am gehörigen

Er fuͤhrt ihrer ſechs auf, um eine nach der andern zu
verneinen. Wir tragen ſie in der Ordnung vor wie
er ſie ſelbſt auffuͤhrt, und als Fragen wie er ſie gleich-
falls geſtellt hat.

Erſte Bedingung. Traͤgt die verſchiedene Dicke
des Glaſes zur Farbenerſcheinung bey?

Dieſe hier nur im Allgemeinen und Unbeſtimmten
aufgeſtellte Frage ward eigentlich dadurch veranlaßt:
Antonius de Dominis, Kircher und andere hatten ge-
glaubt, indem ſie das Gelbe durch die Spitze des bre-
chenden Winkels oder naͤher an ihm, das Blaue aber
zu oberſt, wo das Prisma mehrere Maſſe hat, hervor-
gebracht ſahen, es ſey die groͤßere oder geringere Staͤrke
des Glaſes Urſache der Farbenverſchiedenheit. Sie haͤt-
ten aber nur duͤrfen beym Gebrauch eines groͤßeren
Prisma’s daſſelbe von unten hinauf, oder von oben her-
unter, nach und nach zudecken, ſo wuͤrden ſie geſehen
haben, daß an jeder mittleren Stelle jede Farbe ent-
ſtehen kann. Und Newton hatte alſo ganz Recht,
wenn er in dieſem Sinne die Frage mit Nein beant-
wortet.

Doch haben weder Er noch ſeine Nachfolger auf
den wichtigen Umſtand aufmerkſam gemacht, daß die
Staͤrke oder die Schwaͤche des Mittels uͤberhaupt, zwar
nicht zur Entſtehung der verſchiedenen Farben, aber
doch zum Wachsthum oder zur Verminderung der Er-
ſcheinung ſehr viel beytrage, wie wir am gehoͤrigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0442" n="408"/>
Er fu&#x0364;hrt ihrer &#x017F;echs auf, um eine nach der andern zu<lb/>
verneinen. Wir tragen &#x017F;ie in der Ordnung vor wie<lb/>
er &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t auffu&#x0364;hrt, und als Fragen wie er &#x017F;ie gleich-<lb/>
falls ge&#x017F;tellt hat.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Bedingung</hi>. Tra&#x0364;gt die ver&#x017F;chiedene Dicke<lb/>
des Gla&#x017F;es zur Farbener&#x017F;cheinung bey?</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e hier nur im Allgemeinen und Unbe&#x017F;timmten<lb/>
aufge&#x017F;tellte Frage ward eigentlich dadurch veranlaßt:<lb/>
Antonius de Dominis, Kircher und andere hatten ge-<lb/>
glaubt, indem &#x017F;ie das Gelbe durch die Spitze des bre-<lb/>
chenden Winkels oder na&#x0364;her an ihm, das Blaue aber<lb/>
zu ober&#x017F;t, wo das Prisma mehrere Ma&#x017F;&#x017F;e hat, hervor-<lb/>
gebracht &#x017F;ahen, es &#x017F;ey die gro&#x0364;ßere oder geringere Sta&#x0364;rke<lb/>
des Gla&#x017F;es Ur&#x017F;ache der Farbenver&#x017F;chiedenheit. Sie ha&#x0364;t-<lb/>
ten aber nur du&#x0364;rfen beym Gebrauch eines gro&#x0364;ßeren<lb/>
Prisma&#x2019;s da&#x017F;&#x017F;elbe von unten hinauf, oder von oben her-<lb/>
unter, nach und nach zudecken, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie ge&#x017F;ehen<lb/>
haben, daß an jeder mittleren Stelle jede Farbe ent-<lb/>
&#x017F;tehen kann. Und Newton hatte al&#x017F;o ganz Recht,<lb/>
wenn er in die&#x017F;em Sinne die Frage mit Nein beant-<lb/>
wortet.</p><lb/>
            <p>Doch haben weder Er noch &#x017F;eine Nachfolger auf<lb/>
den wichtigen Um&#x017F;tand aufmerk&#x017F;am gemacht, daß die<lb/>
Sta&#x0364;rke oder die Schwa&#x0364;che des Mittels u&#x0364;berhaupt, zwar<lb/>
nicht zur Ent&#x017F;tehung der ver&#x017F;chiedenen Farben, aber<lb/>
doch zum Wachsthum oder zur Verminderung der Er-<lb/>
&#x017F;cheinung &#x017F;ehr viel beytrage, wie wir am geho&#x0364;rigen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[408/0442] Er fuͤhrt ihrer ſechs auf, um eine nach der andern zu verneinen. Wir tragen ſie in der Ordnung vor wie er ſie ſelbſt auffuͤhrt, und als Fragen wie er ſie gleich- falls geſtellt hat. Erſte Bedingung. Traͤgt die verſchiedene Dicke des Glaſes zur Farbenerſcheinung bey? Dieſe hier nur im Allgemeinen und Unbeſtimmten aufgeſtellte Frage ward eigentlich dadurch veranlaßt: Antonius de Dominis, Kircher und andere hatten ge- glaubt, indem ſie das Gelbe durch die Spitze des bre- chenden Winkels oder naͤher an ihm, das Blaue aber zu oberſt, wo das Prisma mehrere Maſſe hat, hervor- gebracht ſahen, es ſey die groͤßere oder geringere Staͤrke des Glaſes Urſache der Farbenverſchiedenheit. Sie haͤt- ten aber nur duͤrfen beym Gebrauch eines groͤßeren Prisma’s daſſelbe von unten hinauf, oder von oben her- unter, nach und nach zudecken, ſo wuͤrden ſie geſehen haben, daß an jeder mittleren Stelle jede Farbe ent- ſtehen kann. Und Newton hatte alſo ganz Recht, wenn er in dieſem Sinne die Frage mit Nein beant- wortet. Doch haben weder Er noch ſeine Nachfolger auf den wichtigen Umſtand aufmerkſam gemacht, daß die Staͤrke oder die Schwaͤche des Mittels uͤberhaupt, zwar nicht zur Entſtehung der verſchiedenen Farben, aber doch zum Wachsthum oder zur Verminderung der Er- ſcheinung ſehr viel beytrage, wie wir am gehoͤrigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/442
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/442>, abgerufen am 04.05.2024.