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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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fröhlicher, verwandter und zum Theil gemäßigter Far-
ben scheint überhaupt nicht zu den Zwecken dieses Kunst-
geschmacks zu gehören, der sowohl in Frankreich in
der neuern Zeit fast allgemein angenommen ist, als
auch unter den bessern Künstlern in Italien sich verbrei-
tet, sogar in Deutschland Nachahmer gefunden und
bis jetzt fortgedauert hat. Doch ist vielleicht eben die
Zeit gekommen, wo man sich dessen zu entwöhnen an-
fängt. Es sollen nämlich in Rom vor kurzem, durch
einen emporstrebenden jungen Maler, Bilder mit hei-
tern Gründen und gemäßigten, zarten, der Wahrheit
ähnlichen Tinten des Fleisches verfertigt worden seyn,
welche, da sie Aufsehen erregt, wohl nicht ohne Nach-
ahmung bleiben werden. Und so steht zu hoffen, daß
die Künstler, wenn sie zu einem Colorit zurückkehren,
welches nicht durch Gegensätze gewaltsam zu rühren,
sondern die Anmuth schöner Formen, zarter Gestalten,
durch gefälligen Reiz von seiner Seite zu erhöhen be-
absichtigt, auch bald das Bedürfniß harmonischer Ne-
beneinanderstellung der Farben fühlen und sich des Stu-
diums dieses Theiles der Kunst gehörigermaßen befleißi-
gen werden.


froͤhlicher, verwandter und zum Theil gemaͤßigter Far-
ben ſcheint uͤberhaupt nicht zu den Zwecken dieſes Kunſt-
geſchmacks zu gehoͤren, der ſowohl in Frankreich in
der neuern Zeit faſt allgemein angenommen iſt, als
auch unter den beſſern Kuͤnſtlern in Italien ſich verbrei-
tet, ſogar in Deutſchland Nachahmer gefunden und
bis jetzt fortgedauert hat. Doch iſt vielleicht eben die
Zeit gekommen, wo man ſich deſſen zu entwoͤhnen an-
faͤngt. Es ſollen naͤmlich in Rom vor kurzem, durch
einen emporſtrebenden jungen Maler, Bilder mit hei-
tern Gruͤnden und gemaͤßigten, zarten, der Wahrheit
aͤhnlichen Tinten des Fleiſches verfertigt worden ſeyn,
welche, da ſie Aufſehen erregt, wohl nicht ohne Nach-
ahmung bleiben werden. Und ſo ſteht zu hoffen, daß
die Kuͤnſtler, wenn ſie zu einem Colorit zuruͤckkehren,
welches nicht durch Gegenſaͤtze gewaltſam zu ruͤhren,
ſondern die Anmuth ſchoͤner Formen, zarter Geſtalten,
durch gefaͤlligen Reiz von ſeiner Seite zu erhoͤhen be-
abſichtigt, auch bald das Beduͤrfniß harmoniſcher Ne-
beneinanderſtellung der Farben fuͤhlen und ſich des Stu-
diums dieſes Theiles der Kunſt gehoͤrigermaßen befleißi-
gen werden.


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[377/0411] froͤhlicher, verwandter und zum Theil gemaͤßigter Far- ben ſcheint uͤberhaupt nicht zu den Zwecken dieſes Kunſt- geſchmacks zu gehoͤren, der ſowohl in Frankreich in der neuern Zeit faſt allgemein angenommen iſt, als auch unter den beſſern Kuͤnſtlern in Italien ſich verbrei- tet, ſogar in Deutſchland Nachahmer gefunden und bis jetzt fortgedauert hat. Doch iſt vielleicht eben die Zeit gekommen, wo man ſich deſſen zu entwoͤhnen an- faͤngt. Es ſollen naͤmlich in Rom vor kurzem, durch einen emporſtrebenden jungen Maler, Bilder mit hei- tern Gruͤnden und gemaͤßigten, zarten, der Wahrheit aͤhnlichen Tinten des Fleiſches verfertigt worden ſeyn, welche, da ſie Aufſehen erregt, wohl nicht ohne Nach- ahmung bleiben werden. Und ſo ſteht zu hoffen, daß die Kuͤnſtler, wenn ſie zu einem Colorit zuruͤckkehren, welches nicht durch Gegenſaͤtze gewaltſam zu ruͤhren, ſondern die Anmuth ſchoͤner Formen, zarter Geſtalten, durch gefaͤlligen Reiz von ſeiner Seite zu erhoͤhen be- abſichtigt, auch bald das Beduͤrfniß harmoniſcher Ne- beneinanderſtellung der Farben fuͤhlen und ſich des Stu- diums dieſes Theiles der Kunſt gehoͤrigermaßen befleißi- gen werden.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/411>, abgerufen am 04.05.2024.