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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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zeichnete sich in dem größten Theil ihrer Werke durch
kräftige Schatten und Farben aus. Sie waren dunk-
ler aber auch gesättigter, mehr harmonisch und von auf-
sallenderer Wirkung als die florentinischen; nicht so
wahr und warm in ihren Fleischtinten wie die Ve-
nezianer. Man bediente sich der gelben und Purpur-
farbe weniger, hingegen der blauen Farbe mehr zu
Gewändern, besonders in den Figuren des vordersten
Grundes, wodurch die Bilder überhaupt einen Charakter
von Ernst, das Colorit von großer Kräftigkeit erhal-
ten. So sind z. B. die Gemälde des Parmeggianino,
eines der vorzüglichsten Maler der lombardischen
Schule und anfänglichen Nachahmers des Correggio,
beschaffen.

Die heitere, angenehme Manier, deren sich Frie-
drich Barocci von Urbino bediente, ist mehr für eine
Abirrung als für eine Erweiterung der Kunst in Ab-
sicht auf das Colorit zu betrachten. Dieser Meister
pflegt alle Farben in den Gewändern gerne hoch, im
reinsten glänzendsten Zustand anzuwenden. Im Fleisch
sind die Lichter gewöhnlich etwas zu gelb, die Mittel-
tinten zu blau, das Roth scheint mehr Schminke als
natürliche Röthe; seine Schattenfarben sind schön klar,
die Massen von Hell und Dunkel, einzeln genommen,
zwar groß, deutlich, nicht unterbrochen; Licht und
Schatten aber, besonders in weitläuftigen Compositio-
nen, etwas zu sehr zerstückelt, wodurch die Ruhe des
Ganzen leidet. Manche Bilder von diesem Meister
sind daher buntfleckig. In den besten sucht er sich

zeichnete ſich in dem groͤßten Theil ihrer Werke durch
kraͤftige Schatten und Farben aus. Sie waren dunk-
ler aber auch geſaͤttigter, mehr harmoniſch und von auf-
ſallenderer Wirkung als die florentiniſchen; nicht ſo
wahr und warm in ihren Fleiſchtinten wie die Ve-
nezianer. Man bediente ſich der gelben und Purpur-
farbe weniger, hingegen der blauen Farbe mehr zu
Gewaͤndern, beſonders in den Figuren des vorderſten
Grundes, wodurch die Bilder uͤberhaupt einen Charakter
von Ernſt, das Colorit von großer Kraͤftigkeit erhal-
ten. So ſind z. B. die Gemaͤlde des Parmeggianino,
eines der vorzuͤglichſten Maler der lombardiſchen
Schule und anfaͤnglichen Nachahmers des Correggio,
beſchaffen.

Die heitere, angenehme Manier, deren ſich Frie-
drich Barocci von Urbino bediente, iſt mehr fuͤr eine
Abirrung als fuͤr eine Erweiterung der Kunſt in Ab-
ſicht auf das Colorit zu betrachten. Dieſer Meiſter
pflegt alle Farben in den Gewaͤndern gerne hoch, im
reinſten glaͤnzendſten Zuſtand anzuwenden. Im Fleiſch
ſind die Lichter gewoͤhnlich etwas zu gelb, die Mittel-
tinten zu blau, das Roth ſcheint mehr Schminke als
natuͤrliche Roͤthe; ſeine Schattenfarben ſind ſchoͤn klar,
die Maſſen von Hell und Dunkel, einzeln genommen,
zwar groß, deutlich, nicht unterbrochen; Licht und
Schatten aber, beſonders in weitlaͤuftigen Compoſitio-
nen, etwas zu ſehr zerſtuͤckelt, wodurch die Ruhe des
Ganzen leidet. Manche Bilder von dieſem Meiſter
ſind daher buntfleckig. In den beſten ſucht er ſich

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[361/0395] zeichnete ſich in dem groͤßten Theil ihrer Werke durch kraͤftige Schatten und Farben aus. Sie waren dunk- ler aber auch geſaͤttigter, mehr harmoniſch und von auf- ſallenderer Wirkung als die florentiniſchen; nicht ſo wahr und warm in ihren Fleiſchtinten wie die Ve- nezianer. Man bediente ſich der gelben und Purpur- farbe weniger, hingegen der blauen Farbe mehr zu Gewaͤndern, beſonders in den Figuren des vorderſten Grundes, wodurch die Bilder uͤberhaupt einen Charakter von Ernſt, das Colorit von großer Kraͤftigkeit erhal- ten. So ſind z. B. die Gemaͤlde des Parmeggianino, eines der vorzuͤglichſten Maler der lombardiſchen Schule und anfaͤnglichen Nachahmers des Correggio, beſchaffen. Die heitere, angenehme Manier, deren ſich Frie- drich Barocci von Urbino bediente, iſt mehr fuͤr eine Abirrung als fuͤr eine Erweiterung der Kunſt in Ab- ſicht auf das Colorit zu betrachten. Dieſer Meiſter pflegt alle Farben in den Gewaͤndern gerne hoch, im reinſten glaͤnzendſten Zuſtand anzuwenden. Im Fleiſch ſind die Lichter gewoͤhnlich etwas zu gelb, die Mittel- tinten zu blau, das Roth ſcheint mehr Schminke als natuͤrliche Roͤthe; ſeine Schattenfarben ſind ſchoͤn klar, die Maſſen von Hell und Dunkel, einzeln genommen, zwar groß, deutlich, nicht unterbrochen; Licht und Schatten aber, beſonders in weitlaͤuftigen Compoſitio- nen, etwas zu ſehr zerſtuͤckelt, wodurch die Ruhe des Ganzen leidet. Manche Bilder von dieſem Meiſter ſind daher buntfleckig. In den beſten ſucht er ſich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/395>, abgerufen am 24.11.2024.