Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

"Dieses vorausgesetzt, so läßt sich nach unserm
System gar leicht von einer Erfahrung Rechenschaft
geben, welche der Pater Malebranche vorbringt, um
das seinige zu bestärken, das auf nichts als auf die
Analogie der Farbe mit den Tönen gegründet ist.
Diese Erfahrung besteht darin, daß wenn Jemand,
nachdem er in die Sonne gesehen und also der optische
Nerve stark erschüttert worden, sodann die Augen schließt
oder sich an einen dunklen Ort begibt, ihm in einer
Folge verschiedene Farben erscheinen, erst Weiß, dann
Gelb und so fort Roth, Blau und Schwarz. Denn
die Erschütterungen welche auf verschiedene Fasern des
optischen Nerven erregt worden, endigen nach und
nach, eine nach der andern, und so wird der optische
Nerv immer in weniger Theilen erschüttert seyn, je-
mehr Zeit verflossen ist als man die Augen zugedrückt
hat; und darin besteht die Folge und die Abwechselung
der Farben die man alsdann sieht. Ich weiß nicht,
wie der Pater Malebranche dieses Beyspiel anführen
mochte, um die Verschiedenheit der Farben durch Ana-
logie mit den Tönen zu erklären. Denn ein Ton bleibt
immer derselbe, auf derselben Violinsaite, ob er gleich
immer unmerklich schwächer wird."

"Zum Schlusse will ich hier zu bemerken nicht
unterlassen, daß die Erfahrung welche Boyle vom
nephritischen Holze erzählt, und welche Herr Pourchot
gleichfalls wiederhohlt, sehr unsicher, dabey aber nicht
so selten sey als diese Philosophen glauben."

„Dieſes vorausgeſetzt, ſo laͤßt ſich nach unſerm
Syſtem gar leicht von einer Erfahrung Rechenſchaft
geben, welche der Pater Malebranche vorbringt, um
das ſeinige zu beſtaͤrken, das auf nichts als auf die
Analogie der Farbe mit den Toͤnen gegruͤndet iſt.
Dieſe Erfahrung beſteht darin, daß wenn Jemand,
nachdem er in die Sonne geſehen und alſo der optiſche
Nerve ſtark erſchuͤttert worden, ſodann die Augen ſchließt
oder ſich an einen dunklen Ort begibt, ihm in einer
Folge verſchiedene Farben erſcheinen, erſt Weiß, dann
Gelb und ſo fort Roth, Blau und Schwarz. Denn
die Erſchuͤtterungen welche auf verſchiedene Faſern des
optiſchen Nerven erregt worden, endigen nach und
nach, eine nach der andern, und ſo wird der optiſche
Nerv immer in weniger Theilen erſchuͤttert ſeyn, je-
mehr Zeit verfloſſen iſt als man die Augen zugedruͤckt
hat; und darin beſteht die Folge und die Abwechſelung
der Farben die man alsdann ſieht. Ich weiß nicht,
wie der Pater Malebranche dieſes Beyſpiel anfuͤhren
mochte, um die Verſchiedenheit der Farben durch Ana-
logie mit den Toͤnen zu erklaͤren. Denn ein Ton bleibt
immer derſelbe, auf derſelben Violinſaite, ob er gleich
immer unmerklich ſchwaͤcher wird.“

„Zum Schluſſe will ich hier zu bemerken nicht
unterlaſſen, daß die Erfahrung welche Boyle vom
nephritiſchen Holze erzaͤhlt, und welche Herr Pourchot
gleichfalls wiederhohlt, ſehr unſicher, dabey aber nicht
ſo ſelten ſey als dieſe Philoſophen glauben.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0375" n="341"/>
          <p>&#x201E;Die&#x017F;es vorausge&#x017F;etzt, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich nach un&#x017F;erm<lb/>
Sy&#x017F;tem gar leicht von einer Erfahrung Rechen&#x017F;chaft<lb/>
geben, welche der Pater Malebranche vorbringt, um<lb/>
das &#x017F;einige zu be&#x017F;ta&#x0364;rken, das auf nichts als auf die<lb/>
Analogie der Farbe mit den To&#x0364;nen gegru&#x0364;ndet i&#x017F;t.<lb/>
Die&#x017F;e Erfahrung be&#x017F;teht darin, daß wenn Jemand,<lb/>
nachdem er in die Sonne ge&#x017F;ehen und al&#x017F;o der opti&#x017F;che<lb/>
Nerve &#x017F;tark er&#x017F;chu&#x0364;ttert worden, &#x017F;odann die Augen &#x017F;chließt<lb/>
oder &#x017F;ich an einen dunklen Ort begibt, ihm in einer<lb/>
Folge ver&#x017F;chiedene Farben er&#x017F;cheinen, er&#x017F;t Weiß, dann<lb/>
Gelb und &#x017F;o fort Roth, Blau und Schwarz. Denn<lb/>
die Er&#x017F;chu&#x0364;tterungen welche auf ver&#x017F;chiedene Fa&#x017F;ern des<lb/>
opti&#x017F;chen Nerven erregt worden, endigen nach und<lb/>
nach, eine nach der andern, und &#x017F;o wird der opti&#x017F;che<lb/>
Nerv immer in weniger Theilen er&#x017F;chu&#x0364;ttert &#x017F;eyn, je-<lb/>
mehr Zeit verflo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t als man die Augen zugedru&#x0364;ckt<lb/>
hat; und darin be&#x017F;teht die Folge und die Abwech&#x017F;elung<lb/>
der Farben die man alsdann &#x017F;ieht. Ich weiß nicht,<lb/>
wie der Pater Malebranche die&#x017F;es Bey&#x017F;piel anfu&#x0364;hren<lb/>
mochte, um die Ver&#x017F;chiedenheit der Farben durch Ana-<lb/>
logie mit den To&#x0364;nen zu erkla&#x0364;ren. Denn ein Ton bleibt<lb/>
immer der&#x017F;elbe, auf der&#x017F;elben Violin&#x017F;aite, ob er gleich<lb/>
immer unmerklich &#x017F;chwa&#x0364;cher wird.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Zum Schlu&#x017F;&#x017F;e will ich hier zu bemerken nicht<lb/>
unterla&#x017F;&#x017F;en, daß die Erfahrung welche Boyle vom<lb/>
nephriti&#x017F;chen Holze erza&#x0364;hlt, und welche Herr Pourchot<lb/>
gleichfalls wiederhohlt, &#x017F;ehr un&#x017F;icher, dabey aber nicht<lb/>
&#x017F;o &#x017F;elten &#x017F;ey als die&#x017F;e Philo&#x017F;ophen glauben.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0375] „Dieſes vorausgeſetzt, ſo laͤßt ſich nach unſerm Syſtem gar leicht von einer Erfahrung Rechenſchaft geben, welche der Pater Malebranche vorbringt, um das ſeinige zu beſtaͤrken, das auf nichts als auf die Analogie der Farbe mit den Toͤnen gegruͤndet iſt. Dieſe Erfahrung beſteht darin, daß wenn Jemand, nachdem er in die Sonne geſehen und alſo der optiſche Nerve ſtark erſchuͤttert worden, ſodann die Augen ſchließt oder ſich an einen dunklen Ort begibt, ihm in einer Folge verſchiedene Farben erſcheinen, erſt Weiß, dann Gelb und ſo fort Roth, Blau und Schwarz. Denn die Erſchuͤtterungen welche auf verſchiedene Faſern des optiſchen Nerven erregt worden, endigen nach und nach, eine nach der andern, und ſo wird der optiſche Nerv immer in weniger Theilen erſchuͤttert ſeyn, je- mehr Zeit verfloſſen iſt als man die Augen zugedruͤckt hat; und darin beſteht die Folge und die Abwechſelung der Farben die man alsdann ſieht. Ich weiß nicht, wie der Pater Malebranche dieſes Beyſpiel anfuͤhren mochte, um die Verſchiedenheit der Farben durch Ana- logie mit den Toͤnen zu erklaͤren. Denn ein Ton bleibt immer derſelbe, auf derſelben Violinſaite, ob er gleich immer unmerklich ſchwaͤcher wird.“ „Zum Schluſſe will ich hier zu bemerken nicht unterlaſſen, daß die Erfahrung welche Boyle vom nephritiſchen Holze erzaͤhlt, und welche Herr Pourchot gleichfalls wiederhohlt, ſehr unſicher, dabey aber nicht ſo ſelten ſey als dieſe Philoſophen glauben.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/375
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/375>, abgerufen am 06.05.2024.