Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. "Zweytens muß ich dich, wegen dieser und
ähnlicher Betrachtungen, mein Pyrophilus, bitten, daß
du diese kleine Abhandlung ansehest, nicht als eine
Dissertation, die geschrieben sey, um eine der vorstehen-
den Hypothesen ausschließlich vor allen andern zu ver-
theidigen, oder eine neue, welche mein wäre, dafür
aufzustellen; sondern als einen Anfang einer Geschichte
der Farben, worauf, wenn sie erst durch dich und deine
geistreichen Freunde bereichert worden, eine gründliche
Theorie könne aufgebaut werden. Weil aber diese
Geschichte nicht bloß als Catalog der darin über-
lieferten Sachen anzusehen ist, sondern auch als ein
Apparat zu einer gründlichen und umfassenden Hy-
pothese; hielt ich es der Sache gemäß, so meine ganze
Dissertation zu stellen, daß ich sie zu jenem Zweck so
brauchbar machte, als es sich wollte thun lassen.
Deswegen zweifelte ich nicht, dir zu bezeugen, ich sey
geneigt gewesen, sowohl dir die Arbeit zu ersparen,
verschiedene unzulängliche Theorieen, die dich niemals
zu deinem Zweck führen würden, selbst zu erforschen;
als überhaupt deine Untersuchungen zu vereinfachen,
weshalb ich mir zweyerley zum Augenmerk nahm,
einmal daß ich gewisse Versuche aufzeichnete, welche
durch Hülfe begleitender Betrachtungen und Erinne-
rungen dir dienen könnten, die Schwäche und Unzu-
länglichkeit der gemeinen peripathetischen Lehre und
der gegenwärtig mit noch mehr Beyfall aufgenommenen
Theorie der Chemiker von den Farben einzusehen.
Denn da diese beyden Lehren sich festgesetzt haben,
und zwar die eine in den meisten Schulen, die andre

IV. „Zweytens muß ich dich, wegen dieſer und
aͤhnlicher Betrachtungen, mein Pyrophilus, bitten, daß
du dieſe kleine Abhandlung anſeheſt, nicht als eine
Diſſertation, die geſchrieben ſey, um eine der vorſtehen-
den Hypotheſen ausſchließlich vor allen andern zu ver-
theidigen, oder eine neue, welche mein waͤre, dafuͤr
aufzuſtellen; ſondern als einen Anfang einer Geſchichte
der Farben, worauf, wenn ſie erſt durch dich und deine
geiſtreichen Freunde bereichert worden, eine gruͤndliche
Theorie koͤnne aufgebaut werden. Weil aber dieſe
Geſchichte nicht bloß als Catalog der darin uͤber-
lieferten Sachen anzuſehen iſt, ſondern auch als ein
Apparat zu einer gruͤndlichen und umfaſſenden Hy-
potheſe; hielt ich es der Sache gemaͤß, ſo meine ganze
Diſſertation zu ſtellen, daß ich ſie zu jenem Zweck ſo
brauchbar machte, als es ſich wollte thun laſſen.
Deswegen zweifelte ich nicht, dir zu bezeugen, ich ſey
geneigt geweſen, ſowohl dir die Arbeit zu erſparen,
verſchiedene unzulaͤngliche Theorieen, die dich niemals
zu deinem Zweck fuͤhren wuͤrden, ſelbſt zu erforſchen;
als uͤberhaupt deine Unterſuchungen zu vereinfachen,
weshalb ich mir zweyerley zum Augenmerk nahm,
einmal daß ich gewiſſe Verſuche aufzeichnete, welche
durch Huͤlfe begleitender Betrachtungen und Erinne-
rungen dir dienen koͤnnten, die Schwaͤche und Unzu-
laͤnglichkeit der gemeinen peripathetiſchen Lehre und
der gegenwaͤrtig mit noch mehr Beyfall aufgenommenen
Theorie der Chemiker von den Farben einzuſehen.
Denn da dieſe beyden Lehren ſich feſtgeſetzt haben,
und zwar die eine in den meiſten Schulen, die andre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0352" n="318"/>
            <p><hi rendition="#aq">IV.</hi> &#x201E;Zweytens muß ich dich, wegen die&#x017F;er und<lb/>
a&#x0364;hnlicher Betrachtungen, mein Pyrophilus, bitten, daß<lb/>
du die&#x017F;e kleine Abhandlung an&#x017F;ehe&#x017F;t, nicht als eine<lb/>
Di&#x017F;&#x017F;ertation, die ge&#x017F;chrieben &#x017F;ey, um eine der vor&#x017F;tehen-<lb/>
den Hypothe&#x017F;en aus&#x017F;chließlich vor allen andern zu ver-<lb/>
theidigen, oder eine neue, welche mein wa&#x0364;re, dafu&#x0364;r<lb/>
aufzu&#x017F;tellen; &#x017F;ondern als einen Anfang einer Ge&#x017F;chichte<lb/>
der Farben, worauf, wenn &#x017F;ie er&#x017F;t durch dich und deine<lb/>
gei&#x017F;treichen Freunde bereichert worden, eine gru&#x0364;ndliche<lb/>
Theorie ko&#x0364;nne aufgebaut werden. Weil aber die&#x017F;e<lb/>
Ge&#x017F;chichte nicht bloß als Catalog der darin u&#x0364;ber-<lb/>
lieferten Sachen anzu&#x017F;ehen i&#x017F;t, &#x017F;ondern auch als ein<lb/>
Apparat zu einer gru&#x0364;ndlichen und umfa&#x017F;&#x017F;enden Hy-<lb/>
pothe&#x017F;e; hielt ich es der Sache gema&#x0364;ß, &#x017F;o meine ganze<lb/>
Di&#x017F;&#x017F;ertation zu &#x017F;tellen, daß ich &#x017F;ie zu jenem Zweck &#x017F;o<lb/>
brauchbar machte, als es &#x017F;ich wollte thun la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Deswegen zweifelte ich nicht, dir zu bezeugen, ich &#x017F;ey<lb/>
geneigt gewe&#x017F;en, &#x017F;owohl dir die Arbeit zu er&#x017F;paren,<lb/>
ver&#x017F;chiedene unzula&#x0364;ngliche Theorieen, die dich niemals<lb/>
zu deinem Zweck fu&#x0364;hren wu&#x0364;rden, &#x017F;elb&#x017F;t zu erfor&#x017F;chen;<lb/>
als u&#x0364;berhaupt deine Unter&#x017F;uchungen zu vereinfachen,<lb/>
weshalb ich mir zweyerley zum Augenmerk nahm,<lb/>
einmal daß ich gewi&#x017F;&#x017F;e Ver&#x017F;uche aufzeichnete, welche<lb/>
durch Hu&#x0364;lfe begleitender Betrachtungen und Erinne-<lb/>
rungen dir dienen ko&#x0364;nnten, die Schwa&#x0364;che und Unzu-<lb/>
la&#x0364;nglichkeit der gemeinen peripatheti&#x017F;chen Lehre und<lb/>
der gegenwa&#x0364;rtig mit noch mehr Beyfall aufgenommenen<lb/>
Theorie der Chemiker von den Farben einzu&#x017F;ehen.<lb/>
Denn da die&#x017F;e beyden Lehren &#x017F;ich fe&#x017F;tge&#x017F;etzt haben,<lb/>
und zwar die eine in den mei&#x017F;ten Schulen, die andre<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0352] IV. „Zweytens muß ich dich, wegen dieſer und aͤhnlicher Betrachtungen, mein Pyrophilus, bitten, daß du dieſe kleine Abhandlung anſeheſt, nicht als eine Diſſertation, die geſchrieben ſey, um eine der vorſtehen- den Hypotheſen ausſchließlich vor allen andern zu ver- theidigen, oder eine neue, welche mein waͤre, dafuͤr aufzuſtellen; ſondern als einen Anfang einer Geſchichte der Farben, worauf, wenn ſie erſt durch dich und deine geiſtreichen Freunde bereichert worden, eine gruͤndliche Theorie koͤnne aufgebaut werden. Weil aber dieſe Geſchichte nicht bloß als Catalog der darin uͤber- lieferten Sachen anzuſehen iſt, ſondern auch als ein Apparat zu einer gruͤndlichen und umfaſſenden Hy- potheſe; hielt ich es der Sache gemaͤß, ſo meine ganze Diſſertation zu ſtellen, daß ich ſie zu jenem Zweck ſo brauchbar machte, als es ſich wollte thun laſſen. Deswegen zweifelte ich nicht, dir zu bezeugen, ich ſey geneigt geweſen, ſowohl dir die Arbeit zu erſparen, verſchiedene unzulaͤngliche Theorieen, die dich niemals zu deinem Zweck fuͤhren wuͤrden, ſelbſt zu erforſchen; als uͤberhaupt deine Unterſuchungen zu vereinfachen, weshalb ich mir zweyerley zum Augenmerk nahm, einmal daß ich gewiſſe Verſuche aufzeichnete, welche durch Huͤlfe begleitender Betrachtungen und Erinne- rungen dir dienen koͤnnten, die Schwaͤche und Unzu- laͤnglichkeit der gemeinen peripathetiſchen Lehre und der gegenwaͤrtig mit noch mehr Beyfall aufgenommenen Theorie der Chemiker von den Farben einzuſehen. Denn da dieſe beyden Lehren ſich feſtgeſetzt haben, und zwar die eine in den meiſten Schulen, die andre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/352
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/352>, abgerufen am 07.05.2024.