Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

entspringen. Wir geben gern zu, daß die Farben als
geschwächte Lichter angesehen werden können, die aber
nicht aus dem Licht entspringen, sondern an dem Licht
gewirkt werden.

Siebenter Artikel. Daß die apparenten und
die fixen Farben beyde von einerley Art seyen. Daß die
sämmtlichen Farben, die physiologischen apparenten und
fixen, unter einander in der größten Verwandtschaft ste-
hen, wäre Thorheit zu läugnen. Wir selbst haben diese
Verwandtschaft in unserm Entwurfe abzuleiten und, wo
es nicht möglich war sie ganz durchzuführen, sie we-
nigstens anzudeuten gesucht.

Achter Artikel. Daß die fixen Farben nicht
vom Sonnenlichte herkommen. Er streitet hier gegen
diejenigen, welche die Oberfläche der Körper aus ver-
schieden gestalteten Theilchen zusammensetzen und von
diesen das Licht verschiedenfarbig zurückstrahlen lassen.
Da wir den fixen Farben einen chemischen Ursprung
zugestehen und eine gleiche Realität wie andern chemi-
schen Phänomenen; so können wir den Argumenten
des Verfassers beytreten. Uns ist Lacmus in der Fin-
sterniß so gut gelbroth als der zugemischte Essig sauer,
eben so gut blauroth als das dazugemischte Alcali
fade. Man könnte, um es hier im Vorbeygehen zu
sagen, die Farben der Finsterniß auch intentionell nen-
nen: sie haben die Intention eben so gut, zu erscheinen
und zu wirken, als ein Gefangner im Gefängniß, frey
zu seyn und umher zu gehen.

entſpringen. Wir geben gern zu, daß die Farben als
geſchwaͤchte Lichter angeſehen werden koͤnnen, die aber
nicht aus dem Licht entſpringen, ſondern an dem Licht
gewirkt werden.

Siebenter Artikel. Daß die apparenten und
die fixen Farben beyde von einerley Art ſeyen. Daß die
ſaͤmmtlichen Farben, die phyſiologiſchen apparenten und
fixen, unter einander in der groͤßten Verwandtſchaft ſte-
hen, waͤre Thorheit zu laͤugnen. Wir ſelbſt haben dieſe
Verwandtſchaft in unſerm Entwurfe abzuleiten und, wo
es nicht moͤglich war ſie ganz durchzufuͤhren, ſie we-
nigſtens anzudeuten geſucht.

Achter Artikel. Daß die fixen Farben nicht
vom Sonnenlichte herkommen. Er ſtreitet hier gegen
diejenigen, welche die Oberflaͤche der Koͤrper aus ver-
ſchieden geſtalteten Theilchen zuſammenſetzen und von
dieſen das Licht verſchiedenfarbig zuruͤckſtrahlen laſſen.
Da wir den fixen Farben einen chemiſchen Urſprung
zugeſtehen und eine gleiche Realitaͤt wie andern chemi-
ſchen Phaͤnomenen; ſo koͤnnen wir den Argumenten
des Verfaſſers beytreten. Uns iſt Lacmus in der Fin-
ſterniß ſo gut gelbroth als der zugemiſchte Eſſig ſauer,
eben ſo gut blauroth als das dazugemiſchte Alcali
fade. Man koͤnnte, um es hier im Vorbeygehen zu
ſagen, die Farben der Finſterniß auch intentionell nen-
nen: ſie haben die Intention eben ſo gut, zu erſcheinen
und zu wirken, als ein Gefangner im Gefaͤngniß, frey
zu ſeyn und umher zu gehen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0327" n="293"/>
ent&#x017F;pringen. Wir geben gern zu, daß die Farben als<lb/>
ge&#x017F;chwa&#x0364;chte Lichter ange&#x017F;ehen werden ko&#x0364;nnen, die aber<lb/>
nicht aus dem Licht ent&#x017F;pringen, &#x017F;ondern an dem Licht<lb/>
gewirkt werden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Siebenter Artikel</hi>. Daß die apparenten und<lb/>
die fixen Farben beyde von einerley Art &#x017F;eyen. Daß die<lb/>
&#x017F;a&#x0364;mmtlichen Farben, die phy&#x017F;iologi&#x017F;chen apparenten und<lb/>
fixen, unter einander in der gro&#x0364;ßten Verwandt&#x017F;chaft &#x017F;te-<lb/>
hen, wa&#x0364;re Thorheit zu la&#x0364;ugnen. Wir &#x017F;elb&#x017F;t haben die&#x017F;e<lb/>
Verwandt&#x017F;chaft in un&#x017F;erm Entwurfe abzuleiten und, wo<lb/>
es nicht mo&#x0364;glich war &#x017F;ie ganz durchzufu&#x0364;hren, &#x017F;ie we-<lb/>
nig&#x017F;tens anzudeuten ge&#x017F;ucht.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Achter Artikel</hi>. Daß die fixen Farben nicht<lb/>
vom Sonnenlichte herkommen. Er &#x017F;treitet hier gegen<lb/>
diejenigen, welche die Oberfla&#x0364;che der Ko&#x0364;rper aus ver-<lb/>
&#x017F;chieden ge&#x017F;talteten Theilchen zu&#x017F;ammen&#x017F;etzen und von<lb/>
die&#x017F;en das Licht ver&#x017F;chiedenfarbig zuru&#x0364;ck&#x017F;trahlen la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Da wir den fixen Farben einen chemi&#x017F;chen Ur&#x017F;prung<lb/>
zuge&#x017F;tehen und eine gleiche Realita&#x0364;t wie andern chemi-<lb/>
&#x017F;chen Pha&#x0364;nomenen; &#x017F;o ko&#x0364;nnen wir den Argumenten<lb/>
des Verfa&#x017F;&#x017F;ers beytreten. Uns i&#x017F;t Lacmus in der Fin-<lb/>
&#x017F;terniß &#x017F;o gut gelbroth als der zugemi&#x017F;chte E&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;auer,<lb/>
eben &#x017F;o gut blauroth als das dazugemi&#x017F;chte Alcali<lb/>
fade. Man ko&#x0364;nnte, um es hier im Vorbeygehen zu<lb/>
&#x017F;agen, die Farben der Fin&#x017F;terniß auch intentionell nen-<lb/>
nen: &#x017F;ie haben die Intention eben &#x017F;o gut, zu er&#x017F;cheinen<lb/>
und zu wirken, als ein Gefangner im Gefa&#x0364;ngniß, frey<lb/>
zu &#x017F;eyn und umher zu gehen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0327] entſpringen. Wir geben gern zu, daß die Farben als geſchwaͤchte Lichter angeſehen werden koͤnnen, die aber nicht aus dem Licht entſpringen, ſondern an dem Licht gewirkt werden. Siebenter Artikel. Daß die apparenten und die fixen Farben beyde von einerley Art ſeyen. Daß die ſaͤmmtlichen Farben, die phyſiologiſchen apparenten und fixen, unter einander in der groͤßten Verwandtſchaft ſte- hen, waͤre Thorheit zu laͤugnen. Wir ſelbſt haben dieſe Verwandtſchaft in unſerm Entwurfe abzuleiten und, wo es nicht moͤglich war ſie ganz durchzufuͤhren, ſie we- nigſtens anzudeuten geſucht. Achter Artikel. Daß die fixen Farben nicht vom Sonnenlichte herkommen. Er ſtreitet hier gegen diejenigen, welche die Oberflaͤche der Koͤrper aus ver- ſchieden geſtalteten Theilchen zuſammenſetzen und von dieſen das Licht verſchiedenfarbig zuruͤckſtrahlen laſſen. Da wir den fixen Farben einen chemiſchen Urſprung zugeſtehen und eine gleiche Realitaͤt wie andern chemi- ſchen Phaͤnomenen; ſo koͤnnen wir den Argumenten des Verfaſſers beytreten. Uns iſt Lacmus in der Fin- ſterniß ſo gut gelbroth als der zugemiſchte Eſſig ſauer, eben ſo gut blauroth als das dazugemiſchte Alcali fade. Man koͤnnte, um es hier im Vorbeygehen zu ſagen, die Farben der Finſterniß auch intentionell nen- nen: ſie haben die Intention eben ſo gut, zu erſcheinen und zu wirken, als ein Gefangner im Gefaͤngniß, frey zu ſeyn und umher zu gehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/327
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/327>, abgerufen am 27.04.2024.