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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Kircher hatte ausgesprochen, daß die Farben Kin-
der des Lichts und des Schattens seyen; Cartesius
hatte bemerkt, daß zum Erscheinen der prismatischen
Farben eine Beschränkung mitwirken müsse: man war
also von zwey Seiten her auf dem Wege, das Rechte
zu treffen, indem man jenen dem Licht entgegengesetzten
Bedingungen ihren integrirenden und constituirenden
Antheil an der Farbenerscheinung zugestand.

Man warf sich jedoch bald wieder auf die ent-
gegengesetzte Seite und suchte alles in das Licht hin-
einzulegen, was man hernach wieder aus ihm heraus-
demonstriren wollte. Der einfache Titel des Buchs
La Lumiere, im Gegensatz mit dem Kircherischen,
ist recht charakteristisch. Es ist dabey darauf angesehen,
alles dem Lichte zuzuschieben, ihm alles zuzuschreiben,
um nachher alles wieder von ihm zu fordern.

Diese Gesinnung nahm immer mehr überhand,
jemehr man sich dem Aristoteles entgegenstellte, der
das Licht als ein Accidens, als etwas, das einer be-
kannten oder verborgenen Substanz begegnen kann, an-
gesehen hatte. Nun wurde man immer geneigter, das
Licht wegen seiner ungeheuern Wirkungen nicht als
etwas Abgeleitetes anzusehen; man schrieb ihm viel-
mehr eine Substanz zu, man sah es als etwas Ur-
sprüngliches, für sich Bestehendes, Unabhängiges, Unbe-
dingtes an; doch mußte diese Substanz, um zu erschei-
nen, sich materiiren, materiell werden, Materie wer-
den, sich körperlich und endlich als Körper darstellen,

II. 19

Kircher hatte ausgeſprochen, daß die Farben Kin-
der des Lichts und des Schattens ſeyen; Carteſius
hatte bemerkt, daß zum Erſcheinen der prismatiſchen
Farben eine Beſchraͤnkung mitwirken muͤſſe: man war
alſo von zwey Seiten her auf dem Wege, das Rechte
zu treffen, indem man jenen dem Licht entgegengeſetzten
Bedingungen ihren integrirenden und conſtituirenden
Antheil an der Farbenerſcheinung zugeſtand.

Man warf ſich jedoch bald wieder auf die ent-
gegengeſetzte Seite und ſuchte alles in das Licht hin-
einzulegen, was man hernach wieder aus ihm heraus-
demonſtriren wollte. Der einfache Titel des Buchs
La Lumiere, im Gegenſatz mit dem Kircheriſchen,
iſt recht charakteriſtiſch. Es iſt dabey darauf angeſehen,
alles dem Lichte zuzuſchieben, ihm alles zuzuſchreiben,
um nachher alles wieder von ihm zu fordern.

Dieſe Geſinnung nahm immer mehr uͤberhand,
jemehr man ſich dem Ariſtoteles entgegenſtellte, der
das Licht als ein Accidens, als etwas, das einer be-
kannten oder verborgenen Subſtanz begegnen kann, an-
geſehen hatte. Nun wurde man immer geneigter, das
Licht wegen ſeiner ungeheuern Wirkungen nicht als
etwas Abgeleitetes anzuſehen; man ſchrieb ihm viel-
mehr eine Subſtanz zu, man ſah es als etwas Ur-
ſpruͤngliches, fuͤr ſich Beſtehendes, Unabhaͤngiges, Unbe-
dingtes an; doch mußte dieſe Subſtanz, um zu erſchei-
nen, ſich materiiren, materiell werden, Materie wer-
den, ſich koͤrperlich und endlich als Koͤrper darſtellen,

II. 19
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[289/0323] Kircher hatte ausgeſprochen, daß die Farben Kin- der des Lichts und des Schattens ſeyen; Carteſius hatte bemerkt, daß zum Erſcheinen der prismatiſchen Farben eine Beſchraͤnkung mitwirken muͤſſe: man war alſo von zwey Seiten her auf dem Wege, das Rechte zu treffen, indem man jenen dem Licht entgegengeſetzten Bedingungen ihren integrirenden und conſtituirenden Antheil an der Farbenerſcheinung zugeſtand. Man warf ſich jedoch bald wieder auf die ent- gegengeſetzte Seite und ſuchte alles in das Licht hin- einzulegen, was man hernach wieder aus ihm heraus- demonſtriren wollte. Der einfache Titel des Buchs La Lumiere, im Gegenſatz mit dem Kircheriſchen, iſt recht charakteriſtiſch. Es iſt dabey darauf angeſehen, alles dem Lichte zuzuſchieben, ihm alles zuzuſchreiben, um nachher alles wieder von ihm zu fordern. Dieſe Geſinnung nahm immer mehr uͤberhand, jemehr man ſich dem Ariſtoteles entgegenſtellte, der das Licht als ein Accidens, als etwas, das einer be- kannten oder verborgenen Subſtanz begegnen kann, an- geſehen hatte. Nun wurde man immer geneigter, das Licht wegen ſeiner ungeheuern Wirkungen nicht als etwas Abgeleitetes anzuſehen; man ſchrieb ihm viel- mehr eine Subſtanz zu, man ſah es als etwas Ur- ſpruͤngliches, fuͤr ſich Beſtehendes, Unabhaͤngiges, Unbe- dingtes an; doch mußte dieſe Subſtanz, um zu erſchei- nen, ſich materiiren, materiell werden, Materie wer- den, ſich koͤrperlich und endlich als Koͤrper darſtellen, II. 19

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/323>, abgerufen am 28.04.2024.