Kircher hat bey dem Vielen, was er unternommen und geliefert, in der Geschichte der Wissenschaften doch einen sehr zweydeutigen Ruf. Es ist hier der Ort nicht, seine Apologie zu übernehmen; aber soviel ist gewiß: die Naturwissenschaft kommt uns durch ihn fröhlicher und heiterer entgegen, als bey keinem seiner Vorgänger. Sie ist aus der Studierstube, vom Ca- theder in ein bequemes wohlausgestattetes Kloster ge- bracht, unter Geistliche, die mit aller Welt in Ver- bindung stehen, auf alle Welt wirken, die Menschen belehren aber auch unterhalten und ergetzen wollen.
Wenn Kircher auch wenig Probleme auflöst, so bringt er sie doch zur Sprache und betastet sie auf seine Weise. Er hat eine leichte Fassungskraft, Be- quemlichkeit und Heiterkeit in der Mittheilung, und wenn er sich aus gewissen technischen Späßen, Per- spectiv- und Sonnenuhr-Zeichnungen gar nicht los- winden kann, so steht die Bemerkung hier am Platze, daß, wie jenes im vorigen Jahrhundert bemerkliche höhere Streben nachläßt, wie man mit den Eigen- schaften der Natur bekannter wird, wie die Technik zunimmt, man nun das Ende von Spielereyen und Künsteleyen gar nicht finden, sich durch Wiederhohlung und mannigfaltige Anwendung eben derselben Er- scheinung, eben desselben Gesetzes, niemals ersättigen kann; wodurch zwar die Kenntniß verbreitet, die Ausübung erleichtert, Wissen und Thun aber zuletzt geistlos wird. Witz und Klugheit arbeiten indessen jenen Forderungen des Wunderbaren entgegen und machen die Taschenspielerey vollkommner.
Kircher hat bey dem Vielen, was er unternommen und geliefert, in der Geſchichte der Wiſſenſchaften doch einen ſehr zweydeutigen Ruf. Es iſt hier der Ort nicht, ſeine Apologie zu uͤbernehmen; aber ſoviel iſt gewiß: die Naturwiſſenſchaft kommt uns durch ihn froͤhlicher und heiterer entgegen, als bey keinem ſeiner Vorgaͤnger. Sie iſt aus der Studierſtube, vom Ca- theder in ein bequemes wohlausgeſtattetes Kloſter ge- bracht, unter Geiſtliche, die mit aller Welt in Ver- bindung ſtehen, auf alle Welt wirken, die Menſchen belehren aber auch unterhalten und ergetzen wollen.
Wenn Kircher auch wenig Probleme aufloͤſt, ſo bringt er ſie doch zur Sprache und betaſtet ſie auf ſeine Weiſe. Er hat eine leichte Faſſungskraft, Be- quemlichkeit und Heiterkeit in der Mittheilung, und wenn er ſich aus gewiſſen techniſchen Spaͤßen, Per- ſpectiv- und Sonnenuhr-Zeichnungen gar nicht los- winden kann, ſo ſteht die Bemerkung hier am Platze, daß, wie jenes im vorigen Jahrhundert bemerkliche hoͤhere Streben nachlaͤßt, wie man mit den Eigen- ſchaften der Natur bekannter wird, wie die Technik zunimmt, man nun das Ende von Spielereyen und Kuͤnſteleyen gar nicht finden, ſich durch Wiederhohlung und mannigfaltige Anwendung eben derſelben Er- ſcheinung, eben deſſelben Geſetzes, niemals erſaͤttigen kann; wodurch zwar die Kenntniß verbreitet, die Ausuͤbung erleichtert, Wiſſen und Thun aber zuletzt geiſtlos wird. Witz und Klugheit arbeiten indeſſen jenen Forderungen des Wunderbaren entgegen und machen die Taſchenſpielerey vollkommner.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0319"n="285"/><p>Kircher hat bey dem Vielen, was er unternommen<lb/>
und geliefert, in der Geſchichte der Wiſſenſchaften<lb/>
doch einen ſehr zweydeutigen Ruf. Es iſt hier der<lb/>
Ort nicht, ſeine Apologie zu uͤbernehmen; aber ſoviel<lb/>
iſt gewiß: die Naturwiſſenſchaft kommt uns durch ihn<lb/>
froͤhlicher und heiterer entgegen, als bey keinem ſeiner<lb/>
Vorgaͤnger. Sie iſt aus der Studierſtube, vom Ca-<lb/>
theder in ein bequemes wohlausgeſtattetes Kloſter ge-<lb/>
bracht, unter Geiſtliche, die mit aller Welt in Ver-<lb/>
bindung ſtehen, auf alle Welt wirken, die Menſchen<lb/>
belehren aber auch unterhalten und ergetzen wollen.</p><lb/><p>Wenn Kircher auch wenig Probleme aufloͤſt, ſo<lb/>
bringt er ſie doch zur Sprache und betaſtet ſie auf<lb/>ſeine Weiſe. Er hat eine leichte Faſſungskraft, Be-<lb/>
quemlichkeit und Heiterkeit in der Mittheilung, und<lb/>
wenn er ſich aus gewiſſen techniſchen Spaͤßen, Per-<lb/>ſpectiv- und Sonnenuhr-Zeichnungen gar nicht los-<lb/>
winden kann, ſo ſteht die Bemerkung hier am Platze,<lb/>
daß, wie jenes im vorigen Jahrhundert bemerkliche<lb/>
hoͤhere Streben nachlaͤßt, wie man mit den Eigen-<lb/>ſchaften der Natur bekannter wird, wie die Technik<lb/>
zunimmt, man nun das Ende von Spielereyen und<lb/>
Kuͤnſteleyen gar nicht finden, ſich durch Wiederhohlung<lb/>
und mannigfaltige Anwendung eben derſelben Er-<lb/>ſcheinung, eben deſſelben Geſetzes, niemals erſaͤttigen<lb/>
kann; wodurch zwar die Kenntniß verbreitet, die<lb/>
Ausuͤbung erleichtert, Wiſſen und Thun aber zuletzt<lb/>
geiſtlos wird. Witz und Klugheit arbeiten indeſſen<lb/>
jenen Forderungen des Wunderbaren entgegen und<lb/>
machen die Taſchenſpielerey vollkommner.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[285/0319]
Kircher hat bey dem Vielen, was er unternommen
und geliefert, in der Geſchichte der Wiſſenſchaften
doch einen ſehr zweydeutigen Ruf. Es iſt hier der
Ort nicht, ſeine Apologie zu uͤbernehmen; aber ſoviel
iſt gewiß: die Naturwiſſenſchaft kommt uns durch ihn
froͤhlicher und heiterer entgegen, als bey keinem ſeiner
Vorgaͤnger. Sie iſt aus der Studierſtube, vom Ca-
theder in ein bequemes wohlausgeſtattetes Kloſter ge-
bracht, unter Geiſtliche, die mit aller Welt in Ver-
bindung ſtehen, auf alle Welt wirken, die Menſchen
belehren aber auch unterhalten und ergetzen wollen.
Wenn Kircher auch wenig Probleme aufloͤſt, ſo
bringt er ſie doch zur Sprache und betaſtet ſie auf
ſeine Weiſe. Er hat eine leichte Faſſungskraft, Be-
quemlichkeit und Heiterkeit in der Mittheilung, und
wenn er ſich aus gewiſſen techniſchen Spaͤßen, Per-
ſpectiv- und Sonnenuhr-Zeichnungen gar nicht los-
winden kann, ſo ſteht die Bemerkung hier am Platze,
daß, wie jenes im vorigen Jahrhundert bemerkliche
hoͤhere Streben nachlaͤßt, wie man mit den Eigen-
ſchaften der Natur bekannter wird, wie die Technik
zunimmt, man nun das Ende von Spielereyen und
Kuͤnſteleyen gar nicht finden, ſich durch Wiederhohlung
und mannigfaltige Anwendung eben derſelben Er-
ſcheinung, eben deſſelben Geſetzes, niemals erſaͤttigen
kann; wodurch zwar die Kenntniß verbreitet, die
Ausuͤbung erleichtert, Wiſſen und Thun aber zuletzt
geiſtlos wird. Witz und Klugheit arbeiten indeſſen
jenen Forderungen des Wunderbaren entgegen und
machen die Taſchenſpielerey vollkommner.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/319>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.