Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Körperlichem und umgekehrt; den Gedanken mit dem
Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch
wird das Wechselleben der Weltgegenstände am besten
ausgedrückt. Die Philosophie auf ihren höchsten Punc-
ten bedarf auch uneigentlicher Ausdrücke und Gleichniß-
reden, wie die von uns oft erwähnte, getadelte und
in Schutz genommene Symbolik bezeugt.

Nur leiden die philosophischen Schulen, wie uns
die Geschichte belehrt, meistentheils daran, daß sie,
nach Art und Weise ihrer Stifter und Hauptlehrer,
meist nur einseitige Symbole brauchen, um das Gan-
ze auszudrücken und zu beherrschen, und besonders die
Einen durchaus das Körperliche durch geistige Sym-
bole, die Andern das Geistige durch körperliche Sym-
bole bezeichnen wollen. Auf diese Weise werden die
Gegenstände niemals durchdrungen; es entsteht viel-
mehr eine Entzweyung in dem was vorgestellt und
bezeichnet werden soll, und also auch eine Discrepanz
in denen, die davon handeln, woraus alsbald ein
Widerwille auf beyden Seiten entspringt und ein
Parteyfinn sich befestigt.

Wenn man von intentionellen Farben spricht, so
ist es eigentlich eine Gleichnißrede, daß man den Far-
ben wegen ihrer Zartheit und Wirkung eine geistige
Natur zuschreibt, ihnen einen Willen, eine Absicht un-
terlegt.

Wer dieses fassen mag, der wird diese Vorstel-
lungsart anmuthig und geistreich finden, und sich

Koͤrperlichem und umgekehrt; den Gedanken mit dem
Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch
wird das Wechſelleben der Weltgegenſtaͤnde am beſten
ausgedruͤckt. Die Philoſophie auf ihren hoͤchſten Punc-
ten bedarf auch uneigentlicher Ausdruͤcke und Gleichniß-
reden, wie die von uns oft erwaͤhnte, getadelte und
in Schutz genommene Symbolik bezeugt.

Nur leiden die philoſophiſchen Schulen, wie uns
die Geſchichte belehrt, meiſtentheils daran, daß ſie,
nach Art und Weiſe ihrer Stifter und Hauptlehrer,
meiſt nur einſeitige Symbole brauchen, um das Gan-
ze auszudruͤcken und zu beherrſchen, und beſonders die
Einen durchaus das Koͤrperliche durch geiſtige Sym-
bole, die Andern das Geiſtige durch koͤrperliche Sym-
bole bezeichnen wollen. Auf dieſe Weiſe werden die
Gegenſtaͤnde niemals durchdrungen; es entſteht viel-
mehr eine Entzweyung in dem was vorgeſtellt und
bezeichnet werden ſoll, und alſo auch eine Discrepanz
in denen, die davon handeln, woraus alsbald ein
Widerwille auf beyden Seiten entſpringt und ein
Parteyfinn ſich befeſtigt.

Wenn man von intentionellen Farben ſpricht, ſo
iſt es eigentlich eine Gleichnißrede, daß man den Far-
ben wegen ihrer Zartheit und Wirkung eine geiſtige
Natur zuſchreibt, ihnen einen Willen, eine Abſicht un-
terlegt.

Wer dieſes faſſen mag, der wird dieſe Vorſtel-
lungsart anmuthig und geiſtreich finden, und ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0302" n="268"/>
Ko&#x0364;rperlichem und umgekehrt; den Gedanken mit dem<lb/>
Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch<lb/>
wird das Wech&#x017F;elleben der Weltgegen&#x017F;ta&#x0364;nde am be&#x017F;ten<lb/>
ausgedru&#x0364;ckt. Die Philo&#x017F;ophie auf ihren ho&#x0364;ch&#x017F;ten Punc-<lb/>
ten bedarf auch uneigentlicher Ausdru&#x0364;cke und Gleichniß-<lb/>
reden, wie die von uns oft erwa&#x0364;hnte, getadelte und<lb/>
in Schutz genommene Symbolik bezeugt.</p><lb/>
          <p>Nur leiden die philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Schulen, wie uns<lb/>
die Ge&#x017F;chichte belehrt, mei&#x017F;tentheils daran, daß &#x017F;ie,<lb/>
nach Art und Wei&#x017F;e ihrer Stifter und Hauptlehrer,<lb/>
mei&#x017F;t nur ein&#x017F;eitige Symbole brauchen, um das Gan-<lb/>
ze auszudru&#x0364;cken und zu beherr&#x017F;chen, und be&#x017F;onders die<lb/>
Einen durchaus das Ko&#x0364;rperliche durch gei&#x017F;tige Sym-<lb/>
bole, die Andern das Gei&#x017F;tige durch ko&#x0364;rperliche Sym-<lb/>
bole bezeichnen wollen. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e werden die<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde niemals durchdrungen; es ent&#x017F;teht viel-<lb/>
mehr eine Entzweyung in dem was vorge&#x017F;tellt und<lb/>
bezeichnet werden &#x017F;oll, und al&#x017F;o auch eine Discrepanz<lb/>
in denen, die davon handeln, woraus alsbald ein<lb/>
Widerwille auf beyden Seiten ent&#x017F;pringt und ein<lb/>
Parteyfinn &#x017F;ich befe&#x017F;tigt.</p><lb/>
          <p>Wenn man von intentionellen Farben &#x017F;pricht, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t es eigentlich eine Gleichnißrede, daß man den Far-<lb/>
ben wegen ihrer Zartheit und Wirkung eine gei&#x017F;tige<lb/>
Natur zu&#x017F;chreibt, ihnen einen Willen, eine Ab&#x017F;icht un-<lb/>
terlegt.</p><lb/>
          <p>Wer die&#x017F;es fa&#x017F;&#x017F;en mag, der wird die&#x017F;e Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungsart anmuthig und gei&#x017F;treich finden, und &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0302] Koͤrperlichem und umgekehrt; den Gedanken mit dem Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch wird das Wechſelleben der Weltgegenſtaͤnde am beſten ausgedruͤckt. Die Philoſophie auf ihren hoͤchſten Punc- ten bedarf auch uneigentlicher Ausdruͤcke und Gleichniß- reden, wie die von uns oft erwaͤhnte, getadelte und in Schutz genommene Symbolik bezeugt. Nur leiden die philoſophiſchen Schulen, wie uns die Geſchichte belehrt, meiſtentheils daran, daß ſie, nach Art und Weiſe ihrer Stifter und Hauptlehrer, meiſt nur einſeitige Symbole brauchen, um das Gan- ze auszudruͤcken und zu beherrſchen, und beſonders die Einen durchaus das Koͤrperliche durch geiſtige Sym- bole, die Andern das Geiſtige durch koͤrperliche Sym- bole bezeichnen wollen. Auf dieſe Weiſe werden die Gegenſtaͤnde niemals durchdrungen; es entſteht viel- mehr eine Entzweyung in dem was vorgeſtellt und bezeichnet werden ſoll, und alſo auch eine Discrepanz in denen, die davon handeln, woraus alsbald ein Widerwille auf beyden Seiten entſpringt und ein Parteyfinn ſich befeſtigt. Wenn man von intentionellen Farben ſpricht, ſo iſt es eigentlich eine Gleichnißrede, daß man den Far- ben wegen ihrer Zartheit und Wirkung eine geiſtige Natur zuſchreibt, ihnen einen Willen, eine Abſicht un- terlegt. Wer dieſes faſſen mag, der wird dieſe Vorſtel- lungsart anmuthig und geiſtreich finden, und ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/302
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/302>, abgerufen am 28.04.2024.