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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Zeiten einander voraus verkünden, auf einander hin-
weisen, einander vorarbeiten. Wie umständlich und ge-
nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikisire!

Eben so verhält er sich zu seinen Zeitgenossen.
Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigsten Lob-
sprüche, den herzlichsten Dank für die Entdeckung der
Camera obscura, für die dadurch auf einmal erwei-
terte Einsicht in die Gesetze des Sehens.

Wie sein Sinn, so sein Ausdruck. Geübt im
Griechischen und Lateinischen fehlt es ihm an keiner
Kenntniß des Alterthums, des gründlichen sowohl als
des schönen, und er weiß sich nach Belieben auszu-
drücken. Manchmal läßt er sich zu Unwissenden, ja
zu Dummen herab; manchmal sucht er wenigstens all-
gemein verständlich zu werden. Bey Erzählung von
natürlichen Ereignissen ist er klar und deutlich; bald
aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindrücke,
entschiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann
fehlt es ihm nicht an Gleichnissen, Anspielungen und
classischen Stellen.

Da er die Sprache völlig in seiner Gewalt hat,
so wagt er gelegentlich kühne, seltsame Ausdrücke, aber
nur dann, wenn der Gegenstand ihm unerreichbar
scheint. So verfährt er bey Gelegenheit der Farbe,
die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil sie ihm,
dem alles Maß und Zahl ist, von keiner Bedeutung
seyn kann. Er bedient sich so wunderbarer Worte, um

Zeiten einander voraus verkuͤnden, auf einander hin-
weiſen, einander vorarbeiten. Wie umſtaͤndlich und ge-
nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikiſire!

Eben ſo verhaͤlt er ſich zu ſeinen Zeitgenoſſen.
Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigſten Lob-
ſpruͤche, den herzlichſten Dank fuͤr die Entdeckung der
Camera obscura, fuͤr die dadurch auf einmal erwei-
terte Einſicht in die Geſetze des Sehens.

Wie ſein Sinn, ſo ſein Ausdruck. Geuͤbt im
Griechiſchen und Lateiniſchen fehlt es ihm an keiner
Kenntniß des Alterthums, des gruͤndlichen ſowohl als
des ſchoͤnen, und er weiß ſich nach Belieben auszu-
druͤcken. Manchmal laͤßt er ſich zu Unwiſſenden, ja
zu Dummen herab; manchmal ſucht er wenigſtens all-
gemein verſtaͤndlich zu werden. Bey Erzaͤhlung von
natuͤrlichen Ereigniſſen iſt er klar und deutlich; bald
aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindruͤcke,
entſchiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann
fehlt es ihm nicht an Gleichniſſen, Anſpielungen und
claſſiſchen Stellen.

Da er die Sprache voͤllig in ſeiner Gewalt hat,
ſo wagt er gelegentlich kuͤhne, ſeltſame Ausdruͤcke, aber
nur dann, wenn der Gegenſtand ihm unerreichbar
ſcheint. So verfaͤhrt er bey Gelegenheit der Farbe,
die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil ſie ihm,
dem alles Maß und Zahl iſt, von keiner Bedeutung
ſeyn kann. Er bedient ſich ſo wunderbarer Worte, um

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[249/0283] Zeiten einander voraus verkuͤnden, auf einander hin- weiſen, einander vorarbeiten. Wie umſtaͤndlich und ge- nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikiſire! Eben ſo verhaͤlt er ſich zu ſeinen Zeitgenoſſen. Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigſten Lob- ſpruͤche, den herzlichſten Dank fuͤr die Entdeckung der Camera obscura, fuͤr die dadurch auf einmal erwei- terte Einſicht in die Geſetze des Sehens. Wie ſein Sinn, ſo ſein Ausdruck. Geuͤbt im Griechiſchen und Lateiniſchen fehlt es ihm an keiner Kenntniß des Alterthums, des gruͤndlichen ſowohl als des ſchoͤnen, und er weiß ſich nach Belieben auszu- druͤcken. Manchmal laͤßt er ſich zu Unwiſſenden, ja zu Dummen herab; manchmal ſucht er wenigſtens all- gemein verſtaͤndlich zu werden. Bey Erzaͤhlung von natuͤrlichen Ereigniſſen iſt er klar und deutlich; bald aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindruͤcke, entſchiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann fehlt es ihm nicht an Gleichniſſen, Anſpielungen und claſſiſchen Stellen. Da er die Sprache voͤllig in ſeiner Gewalt hat, ſo wagt er gelegentlich kuͤhne, ſeltſame Ausdruͤcke, aber nur dann, wenn der Gegenſtand ihm unerreichbar ſcheint. So verfaͤhrt er bey Gelegenheit der Farbe, die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil ſie ihm, dem alles Maß und Zahl iſt, von keiner Bedeutung ſeyn kann. Er bedient ſich ſo wunderbarer Worte, um

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/283>, abgerufen am 27.11.2024.