Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

dern sey es überlassen seine Verdienste anzuerkennen
und zu rühmen, welche außer unserm Gesichtskreise lie-
gen; aber uns ziemt es, sein herrliches Gemüth zu be-
merken, das überall auf das freudigste durchblickt.
Wie verehrt er seinen Meister und Vorgesetzten Tycho!
Wie schätzt er die Verdienste dieses Mannes, der sich
dem ganzen Himmel gewachsen fühlte, insofern er sich
durch die Sinne fassen und durch Instrumente bezwin-
gen ließ. Wie weiß er diesen seinen Lehrer und Vor-
gänger auch nach dem Tode gegen unfreundliche An-
griffe zu vertheidigen! Wie gründlich und anmuthig
beschreibt er, was an dem astronomischen Baue schon
geleistet, was gegründet, was aufgeführt, was noch
zu thun und zu schmücken sey! Und wie arbeitet er
sein ganzes Leben unverrückt an der Vollendung!

Indeß war Tycho bey allen seinen Verdiensten
doch einer von den beschränkten Köpfen, die sich mit
der Natur gewissermaßen im Widerspruch fühlen und
deswegen das complicirte Paradoxe mehr als das ein-
fache Wahre lieben und sich am Irrthum freuen, weil
er ihnen Gelegenheit gibt ihren Scharfsinn zu zeigen;
da derjenige, der das Wahre anerkennt, nur Gott und
die Natur, nicht aber sich selbst zu ehren scheint, und
von dieser letzten Art war Keppler. Jedes klare Ver-
dienst klärt ihn selbst auf; durch freye Beystimmung
eilt er es sich zuzueignen. Wie gern spricht er von
Copernikus! Wie fleißig deutet er auf das einzig schöne
Apercü, was uns die Geschichte noch ganz allein er-
freulich machen kann, daß die ächten Menschen aller

dern ſey es uͤberlaſſen ſeine Verdienſte anzuerkennen
und zu ruͤhmen, welche außer unſerm Geſichtskreiſe lie-
gen; aber uns ziemt es, ſein herrliches Gemuͤth zu be-
merken, das uͤberall auf das freudigſte durchblickt.
Wie verehrt er ſeinen Meiſter und Vorgeſetzten Tycho!
Wie ſchaͤtzt er die Verdienſte dieſes Mannes, der ſich
dem ganzen Himmel gewachſen fuͤhlte, inſofern er ſich
durch die Sinne faſſen und durch Inſtrumente bezwin-
gen ließ. Wie weiß er dieſen ſeinen Lehrer und Vor-
gaͤnger auch nach dem Tode gegen unfreundliche An-
griffe zu vertheidigen! Wie gruͤndlich und anmuthig
beſchreibt er, was an dem aſtronomiſchen Baue ſchon
geleiſtet, was gegruͤndet, was aufgefuͤhrt, was noch
zu thun und zu ſchmuͤcken ſey! Und wie arbeitet er
ſein ganzes Leben unverruͤckt an der Vollendung!

Indeß war Tycho bey allen ſeinen Verdienſten
doch einer von den beſchraͤnkten Koͤpfen, die ſich mit
der Natur gewiſſermaßen im Widerſpruch fuͤhlen und
deswegen das complicirte Paradoxe mehr als das ein-
fache Wahre lieben und ſich am Irrthum freuen, weil
er ihnen Gelegenheit gibt ihren Scharfſinn zu zeigen;
da derjenige, der das Wahre anerkennt, nur Gott und
die Natur, nicht aber ſich ſelbſt zu ehren ſcheint, und
von dieſer letzten Art war Keppler. Jedes klare Ver-
dienſt klaͤrt ihn ſelbſt auf; durch freye Beyſtimmung
eilt er es ſich zuzueignen. Wie gern ſpricht er von
Copernikus! Wie fleißig deutet er auf das einzig ſchoͤne
Aperçuͤ, was uns die Geſchichte noch ganz allein er-
freulich machen kann, daß die aͤchten Menſchen aller

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0282" n="248"/>
dern &#x017F;ey es u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Verdien&#x017F;te anzuerkennen<lb/>
und zu ru&#x0364;hmen, welche außer un&#x017F;erm Ge&#x017F;ichtskrei&#x017F;e lie-<lb/>
gen; aber uns ziemt es, &#x017F;ein herrliches Gemu&#x0364;th zu be-<lb/>
merken, das u&#x0364;berall auf das freudig&#x017F;te durchblickt.<lb/>
Wie verehrt er &#x017F;einen Mei&#x017F;ter und Vorge&#x017F;etzten Tycho!<lb/>
Wie &#x017F;cha&#x0364;tzt er die Verdien&#x017F;te die&#x017F;es Mannes, der &#x017F;ich<lb/>
dem ganzen Himmel gewach&#x017F;en fu&#x0364;hlte, in&#x017F;ofern er &#x017F;ich<lb/>
durch die Sinne fa&#x017F;&#x017F;en und durch In&#x017F;trumente bezwin-<lb/>
gen ließ. Wie weiß er die&#x017F;en &#x017F;einen Lehrer und Vor-<lb/>
ga&#x0364;nger auch nach dem Tode gegen unfreundliche An-<lb/>
griffe zu vertheidigen! Wie gru&#x0364;ndlich und anmuthig<lb/>
be&#x017F;chreibt er, was an dem a&#x017F;tronomi&#x017F;chen Baue &#x017F;chon<lb/>
gelei&#x017F;tet, was gegru&#x0364;ndet, was aufgefu&#x0364;hrt, was noch<lb/>
zu thun und zu &#x017F;chmu&#x0364;cken &#x017F;ey! Und wie arbeitet er<lb/>
&#x017F;ein ganzes Leben unverru&#x0364;ckt an der Vollendung!</p><lb/>
          <p>Indeß war Tycho bey allen &#x017F;einen Verdien&#x017F;ten<lb/>
doch einer von den be&#x017F;chra&#x0364;nkten Ko&#x0364;pfen, die &#x017F;ich mit<lb/>
der Natur gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen im Wider&#x017F;pruch fu&#x0364;hlen und<lb/>
deswegen das complicirte Paradoxe mehr als das ein-<lb/>
fache Wahre lieben und &#x017F;ich am Irrthum freuen, weil<lb/>
er ihnen Gelegenheit gibt ihren Scharf&#x017F;inn zu zeigen;<lb/>
da derjenige, der das Wahre anerkennt, nur Gott und<lb/>
die Natur, nicht aber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu ehren &#x017F;cheint, und<lb/>
von die&#x017F;er letzten Art war Keppler. Jedes klare Ver-<lb/>
dien&#x017F;t kla&#x0364;rt ihn &#x017F;elb&#x017F;t auf; durch freye Bey&#x017F;timmung<lb/>
eilt er es &#x017F;ich zuzueignen. Wie gern &#x017F;pricht er von<lb/>
Copernikus! Wie fleißig deutet er auf das einzig &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Aper<hi rendition="#aq">ç</hi>u&#x0364;, was uns die Ge&#x017F;chichte noch ganz allein er-<lb/>
freulich machen kann, daß die a&#x0364;chten Men&#x017F;chen aller<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0282] dern ſey es uͤberlaſſen ſeine Verdienſte anzuerkennen und zu ruͤhmen, welche außer unſerm Geſichtskreiſe lie- gen; aber uns ziemt es, ſein herrliches Gemuͤth zu be- merken, das uͤberall auf das freudigſte durchblickt. Wie verehrt er ſeinen Meiſter und Vorgeſetzten Tycho! Wie ſchaͤtzt er die Verdienſte dieſes Mannes, der ſich dem ganzen Himmel gewachſen fuͤhlte, inſofern er ſich durch die Sinne faſſen und durch Inſtrumente bezwin- gen ließ. Wie weiß er dieſen ſeinen Lehrer und Vor- gaͤnger auch nach dem Tode gegen unfreundliche An- griffe zu vertheidigen! Wie gruͤndlich und anmuthig beſchreibt er, was an dem aſtronomiſchen Baue ſchon geleiſtet, was gegruͤndet, was aufgefuͤhrt, was noch zu thun und zu ſchmuͤcken ſey! Und wie arbeitet er ſein ganzes Leben unverruͤckt an der Vollendung! Indeß war Tycho bey allen ſeinen Verdienſten doch einer von den beſchraͤnkten Koͤpfen, die ſich mit der Natur gewiſſermaßen im Widerſpruch fuͤhlen und deswegen das complicirte Paradoxe mehr als das ein- fache Wahre lieben und ſich am Irrthum freuen, weil er ihnen Gelegenheit gibt ihren Scharfſinn zu zeigen; da derjenige, der das Wahre anerkennt, nur Gott und die Natur, nicht aber ſich ſelbſt zu ehren ſcheint, und von dieſer letzten Art war Keppler. Jedes klare Ver- dienſt klaͤrt ihn ſelbſt auf; durch freye Beyſtimmung eilt er es ſich zuzueignen. Wie gern ſpricht er von Copernikus! Wie fleißig deutet er auf das einzig ſchoͤne Aperçuͤ, was uns die Geſchichte noch ganz allein er- freulich machen kann, daß die aͤchten Menſchen aller

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/282
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/282>, abgerufen am 23.11.2024.