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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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nes weniger gefördert worden, als durch ein nahe lie-
gendes Bedürfniß, durch einen Zufall, den die Auf-
merksamkeit nutzte, und durch mancherley Art von Aus-
bildung zu entschiedenen Zwecken.


Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig
wissen, Zustände, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre
Folgen deutlich wird. Diejenige Zeit, welche der Sa-
me unter der Erde zubringt, gehört vorzüglich mit zum
Pflanzenleben.

Es gibt auffallende Zeiten, von denen uns weni-
ges, aber höchst merkwürdiges bekannt ist. Hier treten
außerordentliche Individuen hervor, es ereignen sich
seltsame Begebenheiten. Solche Epochen geben einen
entschiedenen Eindruck, sie erregen große Bilder, die
uns durch ihr Einfaches anziehen.

Die historischen Zeiten erscheinen uns im vollen
Tag. Man sieht vor lauter Licht keinen Schatten,
vor lauter Hellung keinen Körper, den Wald nicht vor
Bäumen, die Menschheit nicht vor Menschen; aber
es sieht aus, als wenn Jedermann und Allem Recht
geschähe und so ist Jedermann zufrieden.

Die Existenz irgend eines Wesens erscheint uns ja
nur, in sofern wir uns desselben bewußt werden. Da-
her sind wir ungerecht gegen die stillen dunklen Zeiten,
in denen der Mensch, unbekannt mit sich selbst, aus

nes weniger gefoͤrdert worden, als durch ein nahe lie-
gendes Beduͤrfniß, durch einen Zufall, den die Auf-
merkſamkeit nutzte, und durch mancherley Art von Aus-
bildung zu entſchiedenen Zwecken.


Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig
wiſſen, Zuſtaͤnde, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre
Folgen deutlich wird. Diejenige Zeit, welche der Sa-
me unter der Erde zubringt, gehoͤrt vorzuͤglich mit zum
Pflanzenleben.

Es gibt auffallende Zeiten, von denen uns weni-
ges, aber hoͤchſt merkwuͤrdiges bekannt iſt. Hier treten
außerordentliche Individuen hervor, es ereignen ſich
ſeltſame Begebenheiten. Solche Epochen geben einen
entſchiedenen Eindruck, ſie erregen große Bilder, die
uns durch ihr Einfaches anziehen.

Die hiſtoriſchen Zeiten erſcheinen uns im vollen
Tag. Man ſieht vor lauter Licht keinen Schatten,
vor lauter Hellung keinen Koͤrper, den Wald nicht vor
Baͤumen, die Menſchheit nicht vor Menſchen; aber
es ſieht aus, als wenn Jedermann und Allem Recht
geſchaͤhe und ſo iſt Jedermann zufrieden.

Die Exiſtenz irgend eines Weſens erſcheint uns ja
nur, in ſofern wir uns deſſelben bewußt werden. Da-
her ſind wir ungerecht gegen die ſtillen dunklen Zeiten,
in denen der Menſch, unbekannt mit ſich ſelbſt, aus

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[130/0164] nes weniger gefoͤrdert worden, als durch ein nahe lie- gendes Beduͤrfniß, durch einen Zufall, den die Auf- merkſamkeit nutzte, und durch mancherley Art von Aus- bildung zu entſchiedenen Zwecken. Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig wiſſen, Zuſtaͤnde, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre Folgen deutlich wird. Diejenige Zeit, welche der Sa- me unter der Erde zubringt, gehoͤrt vorzuͤglich mit zum Pflanzenleben. Es gibt auffallende Zeiten, von denen uns weni- ges, aber hoͤchſt merkwuͤrdiges bekannt iſt. Hier treten außerordentliche Individuen hervor, es ereignen ſich ſeltſame Begebenheiten. Solche Epochen geben einen entſchiedenen Eindruck, ſie erregen große Bilder, die uns durch ihr Einfaches anziehen. Die hiſtoriſchen Zeiten erſcheinen uns im vollen Tag. Man ſieht vor lauter Licht keinen Schatten, vor lauter Hellung keinen Koͤrper, den Wald nicht vor Baͤumen, die Menſchheit nicht vor Menſchen; aber es ſieht aus, als wenn Jedermann und Allem Recht geſchaͤhe und ſo iſt Jedermann zufrieden. Die Exiſtenz irgend eines Weſens erſcheint uns ja nur, in ſofern wir uns deſſelben bewußt werden. Da- her ſind wir ungerecht gegen die ſtillen dunklen Zeiten, in denen der Menſch, unbekannt mit ſich ſelbſt, aus

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/164>, abgerufen am 20.04.2024.