Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Seneca war, wie er selbst bedauert, spät zur
Naturbetrachtung gelangt. Was die Früheren in die-
sem Fache gewußt, was sie darüber gedacht hatten,
war ihm nicht unbekannt geblieben. Seine eigenen
Meynungen und Ueberzeugungen haben etwas Tüchti-
ges. Eigentlich aber steht er gegen die Natur doch
nur als ein ungebildeter Mensch: denn nicht sie inter-
essirt ihn, sondern ihre Begebenheiten. Wir nennen
aber Begebenheiten diejenigen zusammengesetzten auffal-
lenden Ereignisse, die auch den rohesten Menschen er-
schüttern, seine Aufmerksamkeit erregen, und wenn sie
vorüber sind, den Wunsch in ihm beleben, zu erfahren,
woher so etwas denn doch wohl kommen möchte.

Im Ganzen führt Seneca dergleichen Phänomene,
auf die er in seinem Lebensgange aufmerksam geworden,
nach der Ordnung der vier Clemente auf, läßt sich
aber doch, nach vorkommenden Umständen, bald da
bald dorthin ableiten.

Die meteorischen Feuerkugeln, Höfe um Sonn
und Mond, Regenbogen, Wettergallen, Neben-Son-
nen, Wetterleuchten, Sternschnuppen, Cometen, be-
schäftigen ihn unter der Rubrik des Feuers. In der
Luft sind Blitz und Donner die Hauptveranlassungen
seiner Betrachtungen. Später wendet er sich zu den
Winden, und da er das Erdbeben auch einem unter-
irdischen Geiste zuschreibt, findet er zu diesem den
Uebergang.

Bey dem Wasser sind ihm, außer dem süßen, die
Gesundbrunnen merkwürdig, nicht weniger die perio-

Seneca war, wie er ſelbſt bedauert, ſpaͤt zur
Naturbetrachtung gelangt. Was die Fruͤheren in die-
ſem Fache gewußt, was ſie daruͤber gedacht hatten,
war ihm nicht unbekannt geblieben. Seine eigenen
Meynungen und Ueberzeugungen haben etwas Tuͤchti-
ges. Eigentlich aber ſteht er gegen die Natur doch
nur als ein ungebildeter Menſch: denn nicht ſie inter-
eſſirt ihn, ſondern ihre Begebenheiten. Wir nennen
aber Begebenheiten diejenigen zuſammengeſetzten auffal-
lenden Ereigniſſe, die auch den roheſten Menſchen er-
ſchuͤttern, ſeine Aufmerkſamkeit erregen, und wenn ſie
voruͤber ſind, den Wunſch in ihm beleben, zu erfahren,
woher ſo etwas denn doch wohl kommen moͤchte.

Im Ganzen fuͤhrt Seneca dergleichen Phaͤnomene,
auf die er in ſeinem Lebensgange aufmerkſam geworden,
nach der Ordnung der vier Clemente auf, laͤßt ſich
aber doch, nach vorkommenden Umſtaͤnden, bald da
bald dorthin ableiten.

Die meteoriſchen Feuerkugeln, Hoͤfe um Sonn
und Mond, Regenbogen, Wettergallen, Neben-Son-
nen, Wetterleuchten, Sternſchnuppen, Cometen, be-
ſchaͤftigen ihn unter der Rubrik des Feuers. In der
Luft ſind Blitz und Donner die Hauptveranlaſſungen
ſeiner Betrachtungen. Spaͤter wendet er ſich zu den
Winden, und da er das Erdbeben auch einem unter-
irdiſchen Geiſte zuſchreibt, findet er zu dieſem den
Uebergang.

Bey dem Waſſer ſind ihm, außer dem ſuͤßen, die
Geſundbrunnen merkwuͤrdig, nicht weniger die perio-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0158" n="124"/>
          <p>Seneca war, wie er &#x017F;elb&#x017F;t bedauert, &#x017F;pa&#x0364;t zur<lb/>
Naturbetrachtung gelangt. Was die Fru&#x0364;heren in die-<lb/>
&#x017F;em Fache gewußt, was &#x017F;ie daru&#x0364;ber gedacht hatten,<lb/>
war ihm nicht unbekannt geblieben. Seine eigenen<lb/>
Meynungen und Ueberzeugungen haben etwas Tu&#x0364;chti-<lb/>
ges. Eigentlich aber &#x017F;teht er gegen die Natur doch<lb/>
nur als ein ungebildeter Men&#x017F;ch: denn nicht &#x017F;ie inter-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;irt ihn, &#x017F;ondern ihre Begebenheiten. Wir nennen<lb/>
aber Begebenheiten diejenigen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten auffal-<lb/>
lenden Ereigni&#x017F;&#x017F;e, die auch den rohe&#x017F;ten Men&#x017F;chen er-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttern, &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit erregen, und wenn &#x017F;ie<lb/>
voru&#x0364;ber &#x017F;ind, den Wun&#x017F;ch in ihm beleben, zu erfahren,<lb/>
woher &#x017F;o etwas denn doch wohl kommen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Im Ganzen fu&#x0364;hrt Seneca dergleichen Pha&#x0364;nomene,<lb/>
auf die er in &#x017F;einem Lebensgange aufmerk&#x017F;am geworden,<lb/>
nach der Ordnung der vier Clemente auf, la&#x0364;ßt &#x017F;ich<lb/>
aber doch, nach vorkommenden Um&#x017F;ta&#x0364;nden, bald da<lb/>
bald dorthin ableiten.</p><lb/>
          <p>Die meteori&#x017F;chen Feuerkugeln, Ho&#x0364;fe um Sonn<lb/>
und Mond, Regenbogen, Wettergallen, Neben-Son-<lb/>
nen, Wetterleuchten, Stern&#x017F;chnuppen, Cometen, be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigen ihn unter der Rubrik des Feuers. In der<lb/>
Luft &#x017F;ind Blitz und Donner die Hauptveranla&#x017F;&#x017F;ungen<lb/>
&#x017F;einer Betrachtungen. Spa&#x0364;ter wendet er &#x017F;ich zu den<lb/>
Winden, und da er das Erdbeben auch einem unter-<lb/>
irdi&#x017F;chen Gei&#x017F;te zu&#x017F;chreibt, findet er zu die&#x017F;em den<lb/>
Uebergang.</p><lb/>
          <p>Bey dem Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind ihm, außer dem &#x017F;u&#x0364;ßen, die<lb/>
Ge&#x017F;undbrunnen merkwu&#x0364;rdig, nicht weniger die perio-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0158] Seneca war, wie er ſelbſt bedauert, ſpaͤt zur Naturbetrachtung gelangt. Was die Fruͤheren in die- ſem Fache gewußt, was ſie daruͤber gedacht hatten, war ihm nicht unbekannt geblieben. Seine eigenen Meynungen und Ueberzeugungen haben etwas Tuͤchti- ges. Eigentlich aber ſteht er gegen die Natur doch nur als ein ungebildeter Menſch: denn nicht ſie inter- eſſirt ihn, ſondern ihre Begebenheiten. Wir nennen aber Begebenheiten diejenigen zuſammengeſetzten auffal- lenden Ereigniſſe, die auch den roheſten Menſchen er- ſchuͤttern, ſeine Aufmerkſamkeit erregen, und wenn ſie voruͤber ſind, den Wunſch in ihm beleben, zu erfahren, woher ſo etwas denn doch wohl kommen moͤchte. Im Ganzen fuͤhrt Seneca dergleichen Phaͤnomene, auf die er in ſeinem Lebensgange aufmerkſam geworden, nach der Ordnung der vier Clemente auf, laͤßt ſich aber doch, nach vorkommenden Umſtaͤnden, bald da bald dorthin ableiten. Die meteoriſchen Feuerkugeln, Hoͤfe um Sonn und Mond, Regenbogen, Wettergallen, Neben-Son- nen, Wetterleuchten, Sternſchnuppen, Cometen, be- ſchaͤftigen ihn unter der Rubrik des Feuers. In der Luft ſind Blitz und Donner die Hauptveranlaſſungen ſeiner Betrachtungen. Spaͤter wendet er ſich zu den Winden, und da er das Erdbeben auch einem unter- irdiſchen Geiſte zuſchreibt, findet er zu dieſem den Uebergang. Bey dem Waſſer ſind ihm, außer dem ſuͤßen, die Geſundbrunnen merkwuͤrdig, nicht weniger die perio-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/158
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/158>, abgerufen am 19.04.2024.