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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Nachtrag.

Ehe wir uns von diesen gutmüthigen Hoffnungen
zu jener traurigen Lücke wenden, die zwischen der Ge-
schichte alter und neuer Zeit sich nun bald vor uns
aufthut, so haben wir noch einiges nachzubringen,
das uns den Ueberblick des bisherigen erleichtert und
uns zu weiterem Fortschreiten anregt.

Wir gedenken hier des Lucius Annäus Se-
neca
nicht sowohl insofern er von Farben etwas er-
wähnt, da es nur sehr wenig ist und bloß beyläufig
geschieht, als vielmehr wegen seines allgemeinen Ver-
hältnisses zur Naturforschung.

Ungeachtet der ausgebreiteten Herrschaft der Rö-
mer über die Welt stockten doch die Naturkenntnisse eher
bey ihnen, als daß sie sich verhältnißmäßig erweitert
hätten. Denn eigentlich interessirte sie nur der Mensch,
insofern man ihm mit Gewalt oder durch Ueberredung
etwas abgewinnen kann. Wegen des letztern waren
alle ihre Studien auf rednerische Zwecke berechnet. Uebri-
gens benutzten sie die Naturgegenstände zu nothwen-
digem und willkührlichem Gebrauch so gut und so
wunderlich als es gehn wollte.

Nachtrag.

Ehe wir uns von dieſen gutmuͤthigen Hoffnungen
zu jener traurigen Luͤcke wenden, die zwiſchen der Ge-
ſchichte alter und neuer Zeit ſich nun bald vor uns
aufthut, ſo haben wir noch einiges nachzubringen,
das uns den Ueberblick des bisherigen erleichtert und
uns zu weiterem Fortſchreiten anregt.

Wir gedenken hier des Lucius Annaͤus Se-
neca
nicht ſowohl inſofern er von Farben etwas er-
waͤhnt, da es nur ſehr wenig iſt und bloß beylaͤufig
geſchieht, als vielmehr wegen ſeines allgemeinen Ver-
haͤltniſſes zur Naturforſchung.

Ungeachtet der ausgebreiteten Herrſchaft der Roͤ-
mer uͤber die Welt ſtockten doch die Naturkenntniſſe eher
bey ihnen, als daß ſie ſich verhaͤltnißmaͤßig erweitert
haͤtten. Denn eigentlich intereſſirte ſie nur der Menſch,
inſofern man ihm mit Gewalt oder durch Ueberredung
etwas abgewinnen kann. Wegen des letztern waren
alle ihre Studien auf redneriſche Zwecke berechnet. Uebri-
gens benutzten ſie die Naturgegenſtaͤnde zu nothwen-
digem und willkuͤhrlichem Gebrauch ſo gut und ſo
wunderlich als es gehn wollte.

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[123/0157] Nachtrag. Ehe wir uns von dieſen gutmuͤthigen Hoffnungen zu jener traurigen Luͤcke wenden, die zwiſchen der Ge- ſchichte alter und neuer Zeit ſich nun bald vor uns aufthut, ſo haben wir noch einiges nachzubringen, das uns den Ueberblick des bisherigen erleichtert und uns zu weiterem Fortſchreiten anregt. Wir gedenken hier des Lucius Annaͤus Se- neca nicht ſowohl inſofern er von Farben etwas er- waͤhnt, da es nur ſehr wenig iſt und bloß beylaͤufig geſchieht, als vielmehr wegen ſeines allgemeinen Ver- haͤltniſſes zur Naturforſchung. Ungeachtet der ausgebreiteten Herrſchaft der Roͤ- mer uͤber die Welt ſtockten doch die Naturkenntniſſe eher bey ihnen, als daß ſie ſich verhaͤltnißmaͤßig erweitert haͤtten. Denn eigentlich intereſſirte ſie nur der Menſch, inſofern man ihm mit Gewalt oder durch Ueberredung etwas abgewinnen kann. Wegen des letztern waren alle ihre Studien auf redneriſche Zwecke berechnet. Uebri- gens benutzten ſie die Naturgegenſtaͤnde zu nothwen- digem und willkuͤhrlichem Gebrauch ſo gut und ſo wunderlich als es gehn wollte.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/157>, abgerufen am 28.03.2024.