Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Art, wie das Aeußere und Innere eins für das an-
dre da ist, eins mit dem andern übereinstimmt, zeigt
sogleich von einer höhern Ansicht, die durch jenen all-
gemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem er-
kannt, noch geistiger erscheint.

Daß Zeno, der Stoiker, auch irgendwo sichern
Fuß fassen werde, läßt sich denken. Jener Ausdruck:
die Farben seyen die ersten Schematismen der Materie,
ist uns sehr willkommen. Denn wenn diese Worte im
antiken Sinne auch das nicht enthalten, was wir hin-
einlegen könnten, so sind sie doch immer bedeutend ge-
nug. Die Materie tritt in die Erscheinung, sie bildet,
sie gestaltet sich. Gestalt bezieht sich auf ein Gesetz und
nun zeigt sich in der Farbe, in ihrem Bestehen und
Wechseln, ein Naturgesetzliches fürs Auge, von keinem
andern Sinne leicht unterscheidbar.

Noch willkommner tritt uns bey Plato jede vo-
rige Denkweise, gereinigt und erhöht, entgegen. Er
sondert, was empfunden wird. Die Farbe ist sein
viertes Empfindbares. Hier finden wir die Poren, das
Innere, das dem Aeußern antwortet, wie beym Em-
pedokles, nur geistiger und mächtiger; aber was vor
allem ausdrücklich zu bemerken ist, er kennt den
Hauptpunct der ganzen Farben- und Lichtschatten-Leh-
re; denn er sagt uns: durch das Weiße werde das
Gesicht entbunden, durch das Schwarze gesammelt.

Wir mögen anstatt der griechischen Worte sugkri-
nein und diakrinein in anderen Sprachen setzen was

Art, wie das Aeußere und Innere eins fuͤr das an-
dre da iſt, eins mit dem andern uͤbereinſtimmt, zeigt
ſogleich von einer hoͤhern Anſicht, die durch jenen all-
gemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem er-
kannt, noch geiſtiger erſcheint.

Daß Zeno, der Stoiker, auch irgendwo ſichern
Fuß faſſen werde, laͤßt ſich denken. Jener Ausdruck:
die Farben ſeyen die erſten Schematismen der Materie,
iſt uns ſehr willkommen. Denn wenn dieſe Worte im
antiken Sinne auch das nicht enthalten, was wir hin-
einlegen koͤnnten, ſo ſind ſie doch immer bedeutend ge-
nug. Die Materie tritt in die Erſcheinung, ſie bildet,
ſie geſtaltet ſich. Geſtalt bezieht ſich auf ein Geſetz und
nun zeigt ſich in der Farbe, in ihrem Beſtehen und
Wechſeln, ein Naturgeſetzliches fuͤrs Auge, von keinem
andern Sinne leicht unterſcheidbar.

Noch willkommner tritt uns bey Plato jede vo-
rige Denkweiſe, gereinigt und erhoͤht, entgegen. Er
ſondert, was empfunden wird. Die Farbe iſt ſein
viertes Empfindbares. Hier finden wir die Poren, das
Innere, das dem Aeußern antwortet, wie beym Em-
pedokles, nur geiſtiger und maͤchtiger; aber was vor
allem ausdruͤcklich zu bemerken iſt, er kennt den
Hauptpunct der ganzen Farben- und Lichtſchatten-Leh-
re; denn er ſagt uns: durch das Weiße werde das
Geſicht entbunden, durch das Schwarze geſammelt.

Wir moͤgen anſtatt der griechiſchen Worte συγκρί-
νειν und διακρίνειν in anderen Sprachen ſetzen was

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0146" n="112"/>
Art, wie das Aeußere und Innere eins fu&#x0364;r das an-<lb/>
dre da i&#x017F;t, eins mit dem andern u&#x0364;berein&#x017F;timmt, zeigt<lb/>
&#x017F;ogleich von einer ho&#x0364;hern An&#x017F;icht, die durch jenen all-<lb/>
gemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem er-<lb/>
kannt, noch gei&#x017F;tiger er&#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>Daß <hi rendition="#g">Zeno</hi>, der Stoiker, auch irgendwo &#x017F;ichern<lb/>
Fuß fa&#x017F;&#x017F;en werde, la&#x0364;ßt &#x017F;ich denken. Jener Ausdruck:<lb/>
die Farben &#x017F;eyen die er&#x017F;ten Schematismen der Materie,<lb/>
i&#x017F;t uns &#x017F;ehr <choice><sic>willkommeu</sic><corr>willkommen</corr></choice>. Denn wenn die&#x017F;e Worte im<lb/>
antiken Sinne auch das nicht enthalten, was wir hin-<lb/>
einlegen ko&#x0364;nnten, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie doch immer bedeutend ge-<lb/>
nug. Die Materie tritt in die Er&#x017F;cheinung, &#x017F;ie bildet,<lb/>
&#x017F;ie ge&#x017F;taltet &#x017F;ich. Ge&#x017F;talt bezieht &#x017F;ich auf ein Ge&#x017F;etz und<lb/>
nun zeigt &#x017F;ich in der Farbe, in ihrem Be&#x017F;tehen und<lb/>
Wech&#x017F;eln, ein Naturge&#x017F;etzliches fu&#x0364;rs Auge, von keinem<lb/>
andern Sinne leicht unter&#x017F;cheidbar.</p><lb/>
          <p>Noch willkommner tritt uns bey <hi rendition="#g">Plato</hi> jede vo-<lb/>
rige Denkwei&#x017F;e, gereinigt und erho&#x0364;ht, entgegen. Er<lb/>
&#x017F;ondert, was empfunden wird. Die Farbe i&#x017F;t &#x017F;ein<lb/>
viertes Empfindbares. Hier finden wir die Poren, das<lb/>
Innere, das dem Aeußern antwortet, wie beym Em-<lb/>
pedokles, nur gei&#x017F;tiger und ma&#x0364;chtiger; aber was vor<lb/>
allem ausdru&#x0364;cklich zu bemerken i&#x017F;t, er kennt den<lb/>
Hauptpunct der ganzen Farben- und Licht&#x017F;chatten-Leh-<lb/>
re; denn er &#x017F;agt uns: durch das Weiße werde das<lb/>
Ge&#x017F;icht entbunden, durch das Schwarze ge&#x017F;ammelt.</p><lb/>
          <p>Wir mo&#x0364;gen an&#x017F;tatt der griechi&#x017F;chen Worte &#x03C3;&#x03C5;&#x03B3;&#x03BA;&#x03C1;&#x03AF;-<lb/>
&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD; und &#x03B4;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BA;&#x03C1;&#x03AF;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD; in anderen Sprachen &#x017F;etzen was<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0146] Art, wie das Aeußere und Innere eins fuͤr das an- dre da iſt, eins mit dem andern uͤbereinſtimmt, zeigt ſogleich von einer hoͤhern Anſicht, die durch jenen all- gemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem er- kannt, noch geiſtiger erſcheint. Daß Zeno, der Stoiker, auch irgendwo ſichern Fuß faſſen werde, laͤßt ſich denken. Jener Ausdruck: die Farben ſeyen die erſten Schematismen der Materie, iſt uns ſehr willkommen. Denn wenn dieſe Worte im antiken Sinne auch das nicht enthalten, was wir hin- einlegen koͤnnten, ſo ſind ſie doch immer bedeutend ge- nug. Die Materie tritt in die Erſcheinung, ſie bildet, ſie geſtaltet ſich. Geſtalt bezieht ſich auf ein Geſetz und nun zeigt ſich in der Farbe, in ihrem Beſtehen und Wechſeln, ein Naturgeſetzliches fuͤrs Auge, von keinem andern Sinne leicht unterſcheidbar. Noch willkommner tritt uns bey Plato jede vo- rige Denkweiſe, gereinigt und erhoͤht, entgegen. Er ſondert, was empfunden wird. Die Farbe iſt ſein viertes Empfindbares. Hier finden wir die Poren, das Innere, das dem Aeußern antwortet, wie beym Em- pedokles, nur geiſtiger und maͤchtiger; aber was vor allem ausdruͤcklich zu bemerken iſt, er kennt den Hauptpunct der ganzen Farben- und Lichtſchatten-Leh- re; denn er ſagt uns: durch das Weiße werde das Geſicht entbunden, durch das Schwarze geſammelt. Wir moͤgen anſtatt der griechiſchen Worte συγκρί- νειν und διακρίνειν in anderen Sprachen ſetzen was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/146
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/146>, abgerufen am 29.03.2024.