Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Demnach bleibt es allerdings räthselhaft, worauf
Parrhasius eigentlich gezielt, welcher, als das Ge-
mälde des Timanthes vom Streit des Ulysses und
Ajax um Achills Waffen dem seinigen, wo derselbe
Gegenstand abgebildet war, vorgezogen wurde, soll
gesagt haben: es kränke ihn, daß Ajax abermals
von einem Unwürdigen überwunden werde.

Eben so schwer möchte auszumachen seyn, worin
die Vorzüge des Eupompus, Stifters der Sycioni-
schen Schule, bestanden haben; weil durchaus keine
umständlichen Nachrichten über ihn vorhanden sind,
wir auch überhaupt noch nicht wissen, auf welche
Weise sich die griechischen Malerschulen in Geschmack,
Styl und Behandlung von einander unterschieden
haben.

Euphranor vom Corinthischen Isthmus, ein be-
rühmter Künstler, der sowohl gemalte als plastische
Meisterstücke verfertigt, und nach Plinius in der hun-
dert und vierten Olympiade geblüht, wird sonder
Zweifel auch zur Vervollkommnung des Colorits beyge-
tragen haben: denn es waren von ihm verfaßte Bü-
cher über die Farben vorhanden. Und weil er von
einem gemalten Theseus des oben erwähnten Parrha-
sius zu urtheilen wagte: derselbe sey mit Rosen ge-
nährt, ein anderer aber, von ihm selbst gemalter,
mit Fleisch; so ist also durch ihn damals größere
Wahrheit, Abwechselung und Charakteristik des Far-
bentons erreicht worden.

6 *

Demnach bleibt es allerdings raͤthſelhaft, worauf
Parrhaſius eigentlich gezielt, welcher, als das Ge-
maͤlde des Timanthes vom Streit des Ulyſſes und
Ajax um Achills Waffen dem ſeinigen, wo derſelbe
Gegenſtand abgebildet war, vorgezogen wurde, ſoll
geſagt haben: es kraͤnke ihn, daß Ajax abermals
von einem Unwuͤrdigen uͤberwunden werde.

Eben ſo ſchwer moͤchte auszumachen ſeyn, worin
die Vorzuͤge des Eupompus, Stifters der Sycioni-
ſchen Schule, beſtanden haben; weil durchaus keine
umſtaͤndlichen Nachrichten uͤber ihn vorhanden ſind,
wir auch uͤberhaupt noch nicht wiſſen, auf welche
Weiſe ſich die griechiſchen Malerſchulen in Geſchmack,
Styl und Behandlung von einander unterſchieden
haben.

Euphranor vom Corinthiſchen Iſthmus, ein be-
ruͤhmter Kuͤnſtler, der ſowohl gemalte als plaſtiſche
Meiſterſtuͤcke verfertigt, und nach Plinius in der hun-
dert und vierten Olympiade gebluͤht, wird ſonder
Zweifel auch zur Vervollkommnung des Colorits beyge-
tragen haben: denn es waren von ihm verfaßte Buͤ-
cher uͤber die Farben vorhanden. Und weil er von
einem gemalten Theſeus des oben erwaͤhnten Parrha-
ſius zu urtheilen wagte: derſelbe ſey mit Roſen ge-
naͤhrt, ein anderer aber, von ihm ſelbſt gemalter,
mit Fleiſch; ſo iſt alſo durch ihn damals groͤßere
Wahrheit, Abwechſelung und Charakteriſtik des Far-
bentons erreicht worden.

6 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0117" n="83"/>
          <p>Demnach bleibt es allerdings ra&#x0364;th&#x017F;elhaft, worauf<lb/>
Parrha&#x017F;ius eigentlich gezielt, welcher, als das Ge-<lb/>
ma&#x0364;lde des Timanthes vom Streit des Uly&#x017F;&#x017F;es und<lb/>
Ajax um Achills Waffen dem &#x017F;einigen, wo der&#x017F;elbe<lb/>
Gegen&#x017F;tand abgebildet war, vorgezogen wurde, &#x017F;oll<lb/>
ge&#x017F;agt haben: es kra&#x0364;nke ihn, daß Ajax abermals<lb/>
von einem Unwu&#x0364;rdigen u&#x0364;berwunden werde.</p><lb/>
          <p>Eben &#x017F;o &#x017F;chwer mo&#x0364;chte auszumachen &#x017F;eyn, worin<lb/>
die Vorzu&#x0364;ge des Eupompus, Stifters der Sycioni-<lb/>
&#x017F;chen Schule, be&#x017F;tanden haben; weil durchaus keine<lb/>
um&#x017F;ta&#x0364;ndlichen Nachrichten u&#x0364;ber ihn vorhanden &#x017F;ind,<lb/>
wir auch u&#x0364;berhaupt noch nicht wi&#x017F;&#x017F;en, auf welche<lb/>
Wei&#x017F;e &#x017F;ich die griechi&#x017F;chen Maler&#x017F;chulen in Ge&#x017F;chmack,<lb/>
Styl und Behandlung von einander unter&#x017F;chieden<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p>Euphranor vom Corinthi&#x017F;chen I&#x017F;thmus, ein be-<lb/>
ru&#x0364;hmter Ku&#x0364;n&#x017F;tler, der &#x017F;owohl gemalte als pla&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;cke verfertigt, und nach Plinius in der hun-<lb/>
dert und vierten Olympiade geblu&#x0364;ht, wird &#x017F;onder<lb/>
Zweifel auch zur Vervollkommnung des Colorits beyge-<lb/>
tragen haben: denn es waren von ihm verfaßte Bu&#x0364;-<lb/>
cher u&#x0364;ber die Farben vorhanden. Und weil er von<lb/>
einem gemalten The&#x017F;eus des oben erwa&#x0364;hnten Parrha-<lb/>
&#x017F;ius zu urtheilen wagte: der&#x017F;elbe &#x017F;ey mit Ro&#x017F;en ge-<lb/>
na&#x0364;hrt, ein anderer aber, von ihm &#x017F;elb&#x017F;t gemalter,<lb/>
mit Flei&#x017F;ch; &#x017F;o i&#x017F;t al&#x017F;o durch ihn damals gro&#x0364;ßere<lb/>
Wahrheit, Abwech&#x017F;elung und Charakteri&#x017F;tik des Far-<lb/>
bentons erreicht worden.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">6 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0117] Demnach bleibt es allerdings raͤthſelhaft, worauf Parrhaſius eigentlich gezielt, welcher, als das Ge- maͤlde des Timanthes vom Streit des Ulyſſes und Ajax um Achills Waffen dem ſeinigen, wo derſelbe Gegenſtand abgebildet war, vorgezogen wurde, ſoll geſagt haben: es kraͤnke ihn, daß Ajax abermals von einem Unwuͤrdigen uͤberwunden werde. Eben ſo ſchwer moͤchte auszumachen ſeyn, worin die Vorzuͤge des Eupompus, Stifters der Sycioni- ſchen Schule, beſtanden haben; weil durchaus keine umſtaͤndlichen Nachrichten uͤber ihn vorhanden ſind, wir auch uͤberhaupt noch nicht wiſſen, auf welche Weiſe ſich die griechiſchen Malerſchulen in Geſchmack, Styl und Behandlung von einander unterſchieden haben. Euphranor vom Corinthiſchen Iſthmus, ein be- ruͤhmter Kuͤnſtler, der ſowohl gemalte als plaſtiſche Meiſterſtuͤcke verfertigt, und nach Plinius in der hun- dert und vierten Olympiade gebluͤht, wird ſonder Zweifel auch zur Vervollkommnung des Colorits beyge- tragen haben: denn es waren von ihm verfaßte Buͤ- cher uͤber die Farben vorhanden. Und weil er von einem gemalten Theſeus des oben erwaͤhnten Parrha- ſius zu urtheilen wagte: derſelbe ſey mit Roſen ge- naͤhrt, ein anderer aber, von ihm ſelbſt gemalter, mit Fleiſch; ſo iſt alſo durch ihn damals groͤßere Wahrheit, Abwechſelung und Charakteriſtik des Far- bentons erreicht worden. 6 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/117
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/117>, abgerufen am 25.11.2024.