Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Ansicht der Dinge, kein besserer Künstler als Xeuxis
aber unstreitig war er ein vollkommnerer Maler.

Das flache Mährchen, welches Plinius von dem
Wettstreit der genannten beyden großen Künstler erzählt,
wo Xeuxis Trauben, Parrhasius aber eine als mit
dem Vorhang bedeckte Tafel dargestellt haben soll,
möchten wir freylich seinem ganzen Umfange nach nicht
in Schutz nehmen; allein es konnte unmöglich erfun-
den und nacherzählt werden, ohne daß sich beyde
Künstler um das Colorit besonders verdient gemacht,
ohne daß Parrhasius die täuschende Wahrheit der Nach-
ahmung in seiner Gewalt gehabt, das heißt, daß
seine Localtinten richtig und die Schattirung nach der
Natur sehr wohl beobachtet gewesen.

Timanthes soll in einem Wettstreit selbst über den
Parrhasius gesiegt haben. Ob er aber auch in Hin-
sicht auf das Colorit besonders vortrefflich gewesen,
und durch Vorzüge dieser Art den Sieg erlangt, geht
aus den Nachrichten nicht hervor. Er wird uns vor-
nehmlich als höchst sinnreich in seinen Erfindungen be-
schrieben; auch müssen seine Gemälde in Betreff des
Ausdrucks der Leidenschaft und Darstellung des Charak-
ters der Figuren höchst schätzbar gewesen seyn. Jenes
ist aus seiner berühmten Iphigenia wahrscheinlich; die-
ses schließen wir aus der Nachricht von einem andern
seiner Gemälde, welches einen Helden dargestellt,
und worin, wie Plinius anmerkt, die ganze Kunst
Männer zu malen enthalten war.

Anſicht der Dinge, kein beſſerer Kuͤnſtler als Xeuxis
aber unſtreitig war er ein vollkommnerer Maler.

Das flache Maͤhrchen, welches Plinius von dem
Wettſtreit der genannten beyden großen Kuͤnſtler erzaͤhlt,
wo Xeuxis Trauben, Parrhaſius aber eine als mit
dem Vorhang bedeckte Tafel dargeſtellt haben ſoll,
moͤchten wir freylich ſeinem ganzen Umfange nach nicht
in Schutz nehmen; allein es konnte unmoͤglich erfun-
den und nacherzaͤhlt werden, ohne daß ſich beyde
Kuͤnſtler um das Colorit beſonders verdient gemacht,
ohne daß Parrhaſius die taͤuſchende Wahrheit der Nach-
ahmung in ſeiner Gewalt gehabt, das heißt, daß
ſeine Localtinten richtig und die Schattirung nach der
Natur ſehr wohl beobachtet geweſen.

Timanthes ſoll in einem Wettſtreit ſelbſt uͤber den
Parrhaſius geſiegt haben. Ob er aber auch in Hin-
ſicht auf das Colorit beſonders vortrefflich geweſen,
und durch Vorzuͤge dieſer Art den Sieg erlangt, geht
aus den Nachrichten nicht hervor. Er wird uns vor-
nehmlich als hoͤchſt ſinnreich in ſeinen Erfindungen be-
ſchrieben; auch muͤſſen ſeine Gemaͤlde in Betreff des
Ausdrucks der Leidenſchaft und Darſtellung des Charak-
ters der Figuren hoͤchſt ſchaͤtzbar geweſen ſeyn. Jenes
iſt aus ſeiner beruͤhmten Iphigenia wahrſcheinlich; die-
ſes ſchließen wir aus der Nachricht von einem andern
ſeiner Gemaͤlde, welches einen Helden dargeſtellt,
und worin, wie Plinius anmerkt, die ganze Kunſt
Maͤnner zu malen enthalten war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="82"/>
An&#x017F;icht der Dinge, kein be&#x017F;&#x017F;erer Ku&#x0364;n&#x017F;tler als Xeuxis<lb/>
aber un&#x017F;treitig war er ein vollkommnerer Maler.</p><lb/>
          <p>Das flache Ma&#x0364;hrchen, welches Plinius von dem<lb/>
Wett&#x017F;treit der genannten beyden großen Ku&#x0364;n&#x017F;tler erza&#x0364;hlt,<lb/>
wo Xeuxis Trauben, Parrha&#x017F;ius aber eine als mit<lb/>
dem Vorhang bedeckte Tafel darge&#x017F;tellt haben &#x017F;oll,<lb/>
mo&#x0364;chten wir freylich &#x017F;einem ganzen Umfange nach nicht<lb/>
in Schutz nehmen; allein es konnte unmo&#x0364;glich erfun-<lb/>
den und nacherza&#x0364;hlt werden, ohne daß &#x017F;ich beyde<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler um das Colorit be&#x017F;onders verdient gemacht,<lb/>
ohne daß Parrha&#x017F;ius die ta&#x0364;u&#x017F;chende Wahrheit der Nach-<lb/>
ahmung in &#x017F;einer Gewalt gehabt, das heißt, daß<lb/>
&#x017F;eine Localtinten richtig und die Schattirung nach der<lb/>
Natur &#x017F;ehr wohl beobachtet gewe&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Timanthes &#x017F;oll in einem Wett&#x017F;treit &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber den<lb/>
Parrha&#x017F;ius ge&#x017F;iegt haben. Ob er aber auch in Hin-<lb/>
&#x017F;icht auf das Colorit be&#x017F;onders vortrefflich gewe&#x017F;en,<lb/>
und durch Vorzu&#x0364;ge die&#x017F;er Art den Sieg erlangt, geht<lb/>
aus den Nachrichten nicht hervor. Er wird uns vor-<lb/>
nehmlich als ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;innreich in &#x017F;einen Erfindungen be-<lb/>
&#x017F;chrieben; auch mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Gema&#x0364;lde in Betreff des<lb/>
Ausdrucks der Leiden&#x017F;chaft und Dar&#x017F;tellung des Charak-<lb/>
ters der Figuren ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;tzbar gewe&#x017F;en &#x017F;eyn. Jenes<lb/>
i&#x017F;t aus &#x017F;einer beru&#x0364;hmten Iphigenia wahr&#x017F;cheinlich; die-<lb/>
&#x017F;es &#x017F;chließen wir aus der Nachricht von einem andern<lb/>
&#x017F;einer Gema&#x0364;lde, welches einen Helden darge&#x017F;tellt,<lb/>
und worin, wie Plinius anmerkt, die ganze Kun&#x017F;t<lb/><hi rendition="#g">Ma&#x0364;nner</hi> zu malen enthalten war.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0116] Anſicht der Dinge, kein beſſerer Kuͤnſtler als Xeuxis aber unſtreitig war er ein vollkommnerer Maler. Das flache Maͤhrchen, welches Plinius von dem Wettſtreit der genannten beyden großen Kuͤnſtler erzaͤhlt, wo Xeuxis Trauben, Parrhaſius aber eine als mit dem Vorhang bedeckte Tafel dargeſtellt haben ſoll, moͤchten wir freylich ſeinem ganzen Umfange nach nicht in Schutz nehmen; allein es konnte unmoͤglich erfun- den und nacherzaͤhlt werden, ohne daß ſich beyde Kuͤnſtler um das Colorit beſonders verdient gemacht, ohne daß Parrhaſius die taͤuſchende Wahrheit der Nach- ahmung in ſeiner Gewalt gehabt, das heißt, daß ſeine Localtinten richtig und die Schattirung nach der Natur ſehr wohl beobachtet geweſen. Timanthes ſoll in einem Wettſtreit ſelbſt uͤber den Parrhaſius geſiegt haben. Ob er aber auch in Hin- ſicht auf das Colorit beſonders vortrefflich geweſen, und durch Vorzuͤge dieſer Art den Sieg erlangt, geht aus den Nachrichten nicht hervor. Er wird uns vor- nehmlich als hoͤchſt ſinnreich in ſeinen Erfindungen be- ſchrieben; auch muͤſſen ſeine Gemaͤlde in Betreff des Ausdrucks der Leidenſchaft und Darſtellung des Charak- ters der Figuren hoͤchſt ſchaͤtzbar geweſen ſeyn. Jenes iſt aus ſeiner beruͤhmten Iphigenia wahrſcheinlich; die- ſes ſchließen wir aus der Nachricht von einem andern ſeiner Gemaͤlde, welches einen Helden dargeſtellt, und worin, wie Plinius anmerkt, die ganze Kunſt Maͤnner zu malen enthalten war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/116
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/116>, abgerufen am 25.04.2024.