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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Dem Techniker, dem Färber hingegen, muß
unsre Arbeit durchaus willkommen seyn. Denn
gerade diejenigen, welche über die Phänomene der
Färberey nachdachten, waren am wenigsten durch
die bisherige Theorie befriedigt. Sie waren die
ersten, welche die Unzulänglichkeit der Newtonischen
Lehre gewahr wurden. Denn es ist ein großer Un-
terschied, von welcher Seite man sich einem Wissen,
einer Wissenschaft nähert, durch welche Pforte man
herein kommt. Der echte Praktiker, der Fabrikant,
dem sich die Phänomene täglich mit Gewalt auf-
dringen, welcher Nutzen oder Schaden von der
Ausübung seiner Ueberzeugungen empfindet, dem
Geld- und Zeitverlust nicht gleichgültig ist, der
vorwärts will, von anderen Geleistetes erreichen,
übertreffen soll; er empfindet viel geschwinder das
Hohle, das Falsche einer Theorie, als der Gelehrte,
dem zuletzt die hergebrachten Worte für baare Mün-
ze gelten, als der Mathematiker, dessen Formel
immer noch richtig bleibt, wenn auch die Unter-
lage nicht zu ihr paßt, auf die sie angewendet
worden. Und so werden auch wir, da wir von
der Seite der Malerey, von der Seite ästhetischer
Färbung der Oberflächen, in die Farbenlehre her-
eingekommen, für den Maler das Dankenswer-
theste geleistet haben, wenn wir in der sechsten

Dem Techniker, dem Faͤrber hingegen, muß
unſre Arbeit durchaus willkommen ſeyn. Denn
gerade diejenigen, welche uͤber die Phaͤnomene der
Faͤrberey nachdachten, waren am wenigſten durch
die bisherige Theorie befriedigt. Sie waren die
erſten, welche die Unzulaͤnglichkeit der Newtoniſchen
Lehre gewahr wurden. Denn es iſt ein großer Un-
terſchied, von welcher Seite man ſich einem Wiſſen,
einer Wiſſenſchaft naͤhert, durch welche Pforte man
herein kommt. Der echte Praktiker, der Fabrikant,
dem ſich die Phaͤnomene taͤglich mit Gewalt auf-
dringen, welcher Nutzen oder Schaden von der
Ausuͤbung ſeiner Ueberzeugungen empfindet, dem
Geld- und Zeitverluſt nicht gleichguͤltig iſt, der
vorwaͤrts will, von anderen Geleiſtetes erreichen,
uͤbertreffen ſoll; er empfindet viel geſchwinder das
Hohle, das Falſche einer Theorie, als der Gelehrte,
dem zuletzt die hergebrachten Worte fuͤr baare Muͤn-
ze gelten, als der Mathematiker, deſſen Formel
immer noch richtig bleibt, wenn auch die Unter-
lage nicht zu ihr paßt, auf die ſie angewendet
worden. Und ſo werden auch wir, da wir von
der Seite der Malerey, von der Seite aͤſthetiſcher
Faͤrbung der Oberflaͤchen, in die Farbenlehre her-
eingekommen, fuͤr den Maler das Dankenswer-
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[XLVII/0053] Dem Techniker, dem Faͤrber hingegen, muß unſre Arbeit durchaus willkommen ſeyn. Denn gerade diejenigen, welche uͤber die Phaͤnomene der Faͤrberey nachdachten, waren am wenigſten durch die bisherige Theorie befriedigt. Sie waren die erſten, welche die Unzulaͤnglichkeit der Newtoniſchen Lehre gewahr wurden. Denn es iſt ein großer Un- terſchied, von welcher Seite man ſich einem Wiſſen, einer Wiſſenſchaft naͤhert, durch welche Pforte man herein kommt. Der echte Praktiker, der Fabrikant, dem ſich die Phaͤnomene taͤglich mit Gewalt auf- dringen, welcher Nutzen oder Schaden von der Ausuͤbung ſeiner Ueberzeugungen empfindet, dem Geld- und Zeitverluſt nicht gleichguͤltig iſt, der vorwaͤrts will, von anderen Geleiſtetes erreichen, uͤbertreffen ſoll; er empfindet viel geſchwinder das Hohle, das Falſche einer Theorie, als der Gelehrte, dem zuletzt die hergebrachten Worte fuͤr baare Muͤn- ze gelten, als der Mathematiker, deſſen Formel immer noch richtig bleibt, wenn auch die Unter- lage nicht zu ihr paßt, auf die ſie angewendet worden. Und ſo werden auch wir, da wir von der Seite der Malerey, von der Seite aͤſthetiſcher Faͤrbung der Oberflaͤchen, in die Farbenlehre her- eingekommen, fuͤr den Maler das Dankenswer- theſte geleiſtet haben, wenn wir in der ſechſten

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XLVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/53>, abgerufen am 28.04.2024.