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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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von der Sonne herfließen, verschieden refrangibel wä-
ren, so müßten einige, ob sie gleich von einer und der-
selben Sonnenscheibe herkommen, nach der Refraction
zurückbleiben, wenn die andern vorwärts gehen. Daß
die Sache sich aber nicht so verhalte, ist uns schon be-
kannt. Nun höre man weiter.

106.

Unter einem Cirkel verstehe ich hier nicht einen vollkomme-
nen geometrischen Cirkel, sondern irgend eine Kreisfigur,
deren Länge der Breite gleich ist, und die den Sinnen allen-
falls wie ein Cirkel vorkommen könnte.

107.

Diese Art von Vor- und Nachklage, wie man es
nennen möchte, geht durch die ganze Newtonische Optik.
Denn erst spricht er etwas aus, und setzt es fest; weil
es aber mit der Erfahrung nur scheinbar zusammentrifft,
so limitirt er seine Proposition wieder so lange, bis er
sie ganz aufgehoben hat. Diese Verfahrungsart ist schon
oft von den Gegnern relevirt worden; doch hat sie die
Schule weder einsehen können, noch eingestehen wollen.
Zu mehrerer Einsicht der Frage nehme man nun die
Figuren 4. 5. 6. 7. unserer siebenten Tafel vor sich.

In der vierten Figur wird das Spectrum darge-
stellt, wie es Newton und seine Schüler, oft captiös
genug, als eine zwischen zwey Parallellinien eingefaßte,
oben und unten abgerundete lange Figur vorstellen,
ohne auf irgend eine Farbe Rücksicht zu nehmen. Fi-

I. 27

von der Sonne herfließen, verſchieden refrangibel waͤ-
ren, ſo muͤßten einige, ob ſie gleich von einer und der-
ſelben Sonnenſcheibe herkommen, nach der Refraction
zuruͤckbleiben, wenn die andern vorwaͤrts gehen. Daß
die Sache ſich aber nicht ſo verhalte, iſt uns ſchon be-
kannt. Nun hoͤre man weiter.

106.

Unter einem Cirkel verſtehe ich hier nicht einen vollkomme-
nen geometriſchen Cirkel, ſondern irgend eine Kreisfigur,
deren Laͤnge der Breite gleich iſt, und die den Sinnen allen-
falls wie ein Cirkel vorkommen koͤnnte.

107.

Dieſe Art von Vor- und Nachklage, wie man es
nennen moͤchte, geht durch die ganze Newtoniſche Optik.
Denn erſt ſpricht er etwas aus, und ſetzt es feſt; weil
es aber mit der Erfahrung nur ſcheinbar zuſammentrifft,
ſo limitirt er ſeine Propoſition wieder ſo lange, bis er
ſie ganz aufgehoben hat. Dieſe Verfahrungsart iſt ſchon
oft von den Gegnern relevirt worden; doch hat ſie die
Schule weder einſehen koͤnnen, noch eingeſtehen wollen.
Zu mehrerer Einſicht der Frage nehme man nun die
Figuren 4. 5. 6. 7. unſerer ſiebenten Tafel vor ſich.

In der vierten Figur wird das Spectrum darge-
ſtellt, wie es Newton und ſeine Schuͤler, oft captioͤs
genug, als eine zwiſchen zwey Parallellinien eingefaßte,
oben und unten abgerundete lange Figur vorſtellen,
ohne auf irgend eine Farbe Ruͤckſicht zu nehmen. Fi-

I. 27
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[417/0471] von der Sonne herfließen, verſchieden refrangibel waͤ- ren, ſo muͤßten einige, ob ſie gleich von einer und der- ſelben Sonnenſcheibe herkommen, nach der Refraction zuruͤckbleiben, wenn die andern vorwaͤrts gehen. Daß die Sache ſich aber nicht ſo verhalte, iſt uns ſchon be- kannt. Nun hoͤre man weiter. 106. Unter einem Cirkel verſtehe ich hier nicht einen vollkomme- nen geometriſchen Cirkel, ſondern irgend eine Kreisfigur, deren Laͤnge der Breite gleich iſt, und die den Sinnen allen- falls wie ein Cirkel vorkommen koͤnnte. 107. Dieſe Art von Vor- und Nachklage, wie man es nennen moͤchte, geht durch die ganze Newtoniſche Optik. Denn erſt ſpricht er etwas aus, und ſetzt es feſt; weil es aber mit der Erfahrung nur ſcheinbar zuſammentrifft, ſo limitirt er ſeine Propoſition wieder ſo lange, bis er ſie ganz aufgehoben hat. Dieſe Verfahrungsart iſt ſchon oft von den Gegnern relevirt worden; doch hat ſie die Schule weder einſehen koͤnnen, noch eingeſtehen wollen. Zu mehrerer Einſicht der Frage nehme man nun die Figuren 4. 5. 6. 7. unſerer ſiebenten Tafel vor ſich. In der vierten Figur wird das Spectrum darge- ſtellt, wie es Newton und ſeine Schuͤler, oft captioͤs genug, als eine zwiſchen zwey Parallellinien eingefaßte, oben und unten abgerundete lange Figur vorſtellen, ohne auf irgend eine Farbe Ruͤckſicht zu nehmen. Fi- I. 27

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/471>, abgerufen am 21.11.2024.