Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

stellt werden können, als Text erst anschaulich ma-
chen; alsdann würde jedes Erläutern, Erklären,
Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman-
geln.

Ein höchst unzulängliches Surrogat sind hiezu
die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu-
legen pflegt. Ein freyes physisches Phänomen,
das nach allen Seiten wirkt, ist nicht in Linien zu
sassen, und im Durchschnitt anzudeuten. Nie-
mand fällt es ein, chemische Versuche mit Figuren
zu erläutern; bey den physischen nah verwandten
ist es jedoch hergebracht, weil sich eins und das
andre dadurch leisten läßt. Aber sehr oft stellen
diese Figuren nur Begriffe dar; es sind symboli-
sche Hülfsmittel, hieroglyphische Ueberlieferungswei-
sen, welche sich nach und nach an die Stelle des
Phänomens, an die Stelle der Natur setzen und
die wahre Erkenntniß hindern, anstatt sie zu be-
fördern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln
nicht; doch haben wir sie so einzurichten gesucht,

ſtellt werden koͤnnen, als Text erſt anſchaulich ma-
chen; alsdann wuͤrde jedes Erlaͤutern, Erklaͤren,
Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman-
geln.

Ein hoͤchſt unzulaͤngliches Surrogat ſind hiezu
die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu-
legen pflegt. Ein freyes phyſiſches Phaͤnomen,
das nach allen Seiten wirkt, iſt nicht in Linien zu
ſaſſen, und im Durchſchnitt anzudeuten. Nie-
mand faͤllt es ein, chemiſche Verſuche mit Figuren
zu erlaͤutern; bey den phyſiſchen nah verwandten
iſt es jedoch hergebracht, weil ſich eins und das
andre dadurch leiſten laͤßt. Aber ſehr oft ſtellen
dieſe Figuren nur Begriffe dar; es ſind ſymboli-
ſche Huͤlfsmittel, hieroglyphiſche Ueberlieferungswei-
ſen, welche ſich nach und nach an die Stelle des
Phaͤnomens, an die Stelle der Natur ſetzen und
die wahre Erkenntniß hindern, anſtatt ſie zu be-
foͤrdern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln
nicht; doch haben wir ſie ſo einzurichten geſucht,

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="XXV"/>
&#x017F;tellt werden ko&#x0364;nnen, als Text er&#x017F;t an&#x017F;chaulich ma-<lb/>
chen; alsdann wu&#x0364;rde jedes Erla&#x0364;utern, Erkla&#x0364;ren,<lb/>
Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman-<lb/>
geln.</p><lb/>
        <p>Ein ho&#x0364;ch&#x017F;t unzula&#x0364;ngliches Surrogat &#x017F;ind hiezu<lb/>
die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu-<lb/>
legen pflegt. Ein freyes phy&#x017F;i&#x017F;ches Pha&#x0364;nomen,<lb/>
das nach allen Seiten wirkt, i&#x017F;t nicht in Linien zu<lb/>
&#x017F;a&#x017F;&#x017F;en, und im Durch&#x017F;chnitt anzudeuten. Nie-<lb/>
mand fa&#x0364;llt es ein, chemi&#x017F;che Ver&#x017F;uche mit Figuren<lb/>
zu erla&#x0364;utern; bey den phy&#x017F;i&#x017F;chen nah verwandten<lb/>
i&#x017F;t es jedoch hergebracht, weil &#x017F;ich eins und das<lb/>
andre dadurch lei&#x017F;ten la&#x0364;ßt. Aber &#x017F;ehr oft &#x017F;tellen<lb/>
die&#x017F;e Figuren nur Begriffe dar; es &#x017F;ind &#x017F;ymboli-<lb/>
&#x017F;che Hu&#x0364;lfsmittel, hieroglyphi&#x017F;che Ueberlieferungswei-<lb/>
&#x017F;en, welche &#x017F;ich nach und nach an die Stelle des<lb/>
Pha&#x0364;nomens, an die Stelle der Natur &#x017F;etzen und<lb/>
die wahre Erkenntniß hindern, an&#x017F;tatt &#x017F;ie zu be-<lb/>
fo&#x0364;rdern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln<lb/>
nicht; doch haben wir &#x017F;ie &#x017F;o einzurichten ge&#x017F;ucht,<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXV/0031] ſtellt werden koͤnnen, als Text erſt anſchaulich ma- chen; alsdann wuͤrde jedes Erlaͤutern, Erklaͤren, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman- geln. Ein hoͤchſt unzulaͤngliches Surrogat ſind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu- legen pflegt. Ein freyes phyſiſches Phaͤnomen, das nach allen Seiten wirkt, iſt nicht in Linien zu ſaſſen, und im Durchſchnitt anzudeuten. Nie- mand faͤllt es ein, chemiſche Verſuche mit Figuren zu erlaͤutern; bey den phyſiſchen nah verwandten iſt es jedoch hergebracht, weil ſich eins und das andre dadurch leiſten laͤßt. Aber ſehr oft ſtellen dieſe Figuren nur Begriffe dar; es ſind ſymboli- ſche Huͤlfsmittel, hieroglyphiſche Ueberlieferungswei- ſen, welche ſich nach und nach an die Stelle des Phaͤnomens, an die Stelle der Natur ſetzen und die wahre Erkenntniß hindern, anſtatt ſie zu be- foͤrdern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir ſie ſo einzurichten geſucht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/31
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/31>, abgerufen am 26.04.2024.