stellt werden können, als Text erst anschaulich ma- chen; alsdann würde jedes Erläutern, Erklären, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman- geln.
Ein höchst unzulängliches Surrogat sind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu- legen pflegt. Ein freyes physisches Phänomen, das nach allen Seiten wirkt, ist nicht in Linien zu sassen, und im Durchschnitt anzudeuten. Nie- mand fällt es ein, chemische Versuche mit Figuren zu erläutern; bey den physischen nah verwandten ist es jedoch hergebracht, weil sich eins und das andre dadurch leisten läßt. Aber sehr oft stellen diese Figuren nur Begriffe dar; es sind symboli- sche Hülfsmittel, hieroglyphische Ueberlieferungswei- sen, welche sich nach und nach an die Stelle des Phänomens, an die Stelle der Natur setzen und die wahre Erkenntniß hindern, anstatt sie zu be- fördern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir sie so einzurichten gesucht,
ſtellt werden koͤnnen, als Text erſt anſchaulich ma- chen; alsdann wuͤrde jedes Erlaͤutern, Erklaͤren, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman- geln.
Ein hoͤchſt unzulaͤngliches Surrogat ſind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu- legen pflegt. Ein freyes phyſiſches Phaͤnomen, das nach allen Seiten wirkt, iſt nicht in Linien zu ſaſſen, und im Durchſchnitt anzudeuten. Nie- mand faͤllt es ein, chemiſche Verſuche mit Figuren zu erlaͤutern; bey den phyſiſchen nah verwandten iſt es jedoch hergebracht, weil ſich eins und das andre dadurch leiſten laͤßt. Aber ſehr oft ſtellen dieſe Figuren nur Begriffe dar; es ſind ſymboli- ſche Huͤlfsmittel, hieroglyphiſche Ueberlieferungswei- ſen, welche ſich nach und nach an die Stelle des Phaͤnomens, an die Stelle der Natur ſetzen und die wahre Erkenntniß hindern, anſtatt ſie zu be- foͤrdern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir ſie ſo einzurichten geſucht,
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[XXV/0031]
ſtellt werden koͤnnen, als Text erſt anſchaulich ma-
chen; alsdann wuͤrde jedes Erlaͤutern, Erklaͤren,
Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht erman-
geln.
Ein hoͤchſt unzulaͤngliches Surrogat ſind hiezu
die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzu-
legen pflegt. Ein freyes phyſiſches Phaͤnomen,
das nach allen Seiten wirkt, iſt nicht in Linien zu
ſaſſen, und im Durchſchnitt anzudeuten. Nie-
mand faͤllt es ein, chemiſche Verſuche mit Figuren
zu erlaͤutern; bey den phyſiſchen nah verwandten
iſt es jedoch hergebracht, weil ſich eins und das
andre dadurch leiſten laͤßt. Aber ſehr oft ſtellen
dieſe Figuren nur Begriffe dar; es ſind ſymboli-
ſche Huͤlfsmittel, hieroglyphiſche Ueberlieferungswei-
ſen, welche ſich nach und nach an die Stelle des
Phaͤnomens, an die Stelle der Natur ſetzen und
die wahre Erkenntniß hindern, anſtatt ſie zu be-
foͤrdern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln
nicht; doch haben wir ſie ſo einzurichten geſucht,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/31>, abgerufen am 22.12.2024.
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