Die orientalischen Höfe beobachten, unter dem Schein einer kindlichen Naivetät, ein besonderes kluges, listiges Betragen und Verfahren; vorstehende Gedichte sind Be- weis davon.
Die neueste Russische Gesandtschaft nach Persien fand Mirsa Abul Hassan Chan zwar bey Hofe, aber nicht in ausgezeich- neter Gunst, er hält sich bescheiden zur Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre darauf wird derselbige Mann, mit stattli- chem Gefolge, nach England gesendet, um ihn aber recht zu verherrlichen bedient man sich eines eigenen Mittels. Man stattet ihn bey seiner Abreise nicht mit allen Vorzü- gen aus, die man ihm zudenkt, sondern lässt ihn mit Creditiven und was sonst nö- thig ist seinen Weg antreten. Allein kaum ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn glänzende Bestätigungen seiner Würde, auf- fallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm gesendet, ein Ordensband mit dem Gleich- niss der Sonne, ja mit dem Ebenbild des Kaisers selbst verziert, das alles erhebt ihn
Die orientalischen Höfe beobachten, unter dem Schein einer kindlichen Naivetät, ein besonderes kluges, listiges Betragen und Verfahren; vorstehende Gedichte sind Be- weis davon.
Die neueste Russische Gesandtschaft nach Persien fand Mirsa Abul Hassan Chan zwar bey Hofe, aber nicht in ausgezeich- neter Gunst, er hält sich bescheiden zur Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre darauf wird derselbige Mann, mit stattli- chem Gefolge, nach England gesendet, um ihn aber recht zu verherrlichen bedient man sich eines eigenen Mittels. Man stattet ihn bey seiner Abreise nicht mit allen Vorzü- gen aus, die man ihm zudenkt, sondern läſst ihn mit Creditiven und was sonst nö- thig ist seinen Weg antreten. Allein kaum ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn glänzende Bestätigungen seiner Würde, auf- fallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm gesendet, ein Ordensband mit dem Gleich- niſs der Sonne, ja mit dem Ebenbild des Kaisers selbst verziert, das alles erhebt ihn
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Die orientalischen Höfe beobachten,
unter dem Schein einer kindlichen Naivetät,
ein besonderes kluges, listiges Betragen und
Verfahren; vorstehende Gedichte sind Be-
weis davon.
Die neueste Russische Gesandtschaft
nach Persien fand Mirsa Abul Hassan Chan
zwar bey Hofe, aber nicht in ausgezeich-
neter Gunst, er hält sich bescheiden zur
Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste
und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre
darauf wird derselbige Mann, mit stattli-
chem Gefolge, nach England gesendet, um
ihn aber recht zu verherrlichen bedient man
sich eines eigenen Mittels. Man stattet ihn
bey seiner Abreise nicht mit allen Vorzü-
gen aus, die man ihm zudenkt, sondern
läſst ihn mit Creditiven und was sonst nö-
thig ist seinen Weg antreten. Allein kaum
ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn
glänzende Bestätigungen seiner Würde, auf-
fallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine
Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/552>, abgerufen am 23.12.2024.
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