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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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nen sogar Aaron und Myriane Theil ge-
nommen, brechen aufs neue desto lebhafter
aus, und geben abermals ein Zeugniss, wie
wenig Moses seinem grossen Berufe ge-
wachsen war. Es ist schon an sich keine
Frage, wird aber durch das Zeugniss Kalebs
unwiderruflich bestätigt, dass an dieser
Stelle möglich, ja unerlässlich gewesen ins
Land Canaan einzudringen, Hebron, den
Hain Mamre in Besitz zu nehmen, das
heilige Grab Abrahams zu erobern und sich
dadurch einen Ziel-Stütz- und Mittelpunct
für das ganze Unternehmen zu verschaffen.
Welcher Nachtheil musste dagegen dem
unglücklichen Volk entspringen, wenn man
den bisher befolgten, von Jethro zwar nicht
ganz uneigennützig, aber doch nicht ganz
verrätherisch vorgeschlagenen Plan auf ein-
mal so freventlich aufzugeben, beschloss.

Das zweyte Jahr, von dem Auszuge
aus Egypten an gerechnet, war noch nicht
vorüber und man hätte sich vor Ende des-
selben, obgleich noch immer spät genug,
im Besitz des schönsten Theils des erwünsch-
ten Landes gesehen; allein die Bewohner,
aufmerksam, hatten den Riegel vorgescho-

nen sogar Aaron und Myriane Theil ge-
nommen, brechen aufs neue desto lebhafter
aus, und geben abermals ein Zeugniſs, wie
wenig Moses seinem groſsen Berufe ge-
wachsen war. Es ist schon an sich keine
Frage, wird aber durch das Zeugniſs Kalebs
unwiderruflich bestätigt, daſs an dieser
Stelle möglich, ja unerläſslich gewesen ins
Land Canaan einzudringen, Hebron, den
Hain Mamre in Besitz zu nehmen, das
heilige Grab Abrahams zu erobern und sich
dadurch einen Ziel-Stütz- und Mittelpunct
für das ganze Unternehmen zu verschaffen.
Welcher Nachtheil muſste dagegen dem
unglücklichen Volk entspringen, wenn man
den bisher befolgten, von Jethro zwar nicht
ganz uneigennützig, aber doch nicht ganz
verrätherisch vorgeschlagenen Plan auf ein-
mal so freventlich aufzugeben, beschloſs.

Das zweyte Jahr, von dem Auszuge
aus Egypten an gerechnet, war noch nicht
vorüber und man hätte sich vor Ende des-
selben, obgleich noch immer spät genug,
im Besitz des schönsten Theils des erwünsch-
ten Landes gesehen; allein die Bewohner,
aufmerksam, hatten den Riegel vorgescho-

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[441[443]/0453] nen sogar Aaron und Myriane Theil ge- nommen, brechen aufs neue desto lebhafter aus, und geben abermals ein Zeugniſs, wie wenig Moses seinem groſsen Berufe ge- wachsen war. Es ist schon an sich keine Frage, wird aber durch das Zeugniſs Kalebs unwiderruflich bestätigt, daſs an dieser Stelle möglich, ja unerläſslich gewesen ins Land Canaan einzudringen, Hebron, den Hain Mamre in Besitz zu nehmen, das heilige Grab Abrahams zu erobern und sich dadurch einen Ziel-Stütz- und Mittelpunct für das ganze Unternehmen zu verschaffen. Welcher Nachtheil muſste dagegen dem unglücklichen Volk entspringen, wenn man den bisher befolgten, von Jethro zwar nicht ganz uneigennützig, aber doch nicht ganz verrätherisch vorgeschlagenen Plan auf ein- mal so freventlich aufzugeben, beschloſs. Das zweyte Jahr, von dem Auszuge aus Egypten an gerechnet, war noch nicht vorüber und man hätte sich vor Ende des- selben, obgleich noch immer spät genug, im Besitz des schönsten Theils des erwünsch- ten Landes gesehen; allein die Bewohner, aufmerksam, hatten den Riegel vorgescho-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 441[443]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/453>, abgerufen am 16.06.2024.