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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei-
nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft
war von meines ganzen Lebens-Wandel
und Handel der beste Gewinn. Ich halte
davor, dass keiner unter den Menschen,
(unter den Engeln möchte es allenfalls
seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm
hätte vergleichen können an Gestalt, Auf-
richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol-
cher Freundschaft genossen, hab' ich es
verredet und es däucht mir unbillig zu seyn
nach seinem Tode meine Liebe einem an-
dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein
Fuss in die Schlinge seines Verhängnisses,
dass er schleunigst ins Grab musste. Ich
habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als
ein Wächter gesessen und gelegen und gar
viele Trauerlieder über seinen Tod und
unser Scheiden ausgesprochen, welche mir
und andern noch immer rührend bleiben."


Buch der Parabeln. Obgleich die
westlichen Nationen vom Reichthum des
Orients sich vieles zugeeignet, so wird
sich doch hier noch manches einzuerndten

gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei-
nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft
war von meines ganzen Lebens-Wandel
und Handel der beste Gewinn. Ich halte
davor, daſs keiner unter den Menschen,
(unter den Engeln möchte es allenfalls
seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm
hätte vergleichen können an Gestalt, Auf-
richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol-
cher Freundschaft genossen, hab’ ich es
verredet und es däucht mir unbillig zu seyn
nach seinem Tode meine Liebe einem an-
dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein
Fuſs in die Schlinge seines Verhängnisses,
daſs er schleunigst ins Grab muſste. Ich
habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als
ein Wächter gesessen und gelegen und gar
viele Trauerlieder über seinen Tod und
unser Scheiden ausgesprochen, welche mir
und andern noch immer rührend bleiben.“


Buch der Parabeln. Obgleich die
westlichen Nationen vom Reichthum des
Orients sich vieles zugeeignet, so wird
sich doch hier noch manches einzuerndten

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[418[420]/0430] gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei- nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft war von meines ganzen Lebens-Wandel und Handel der beste Gewinn. Ich halte davor, daſs keiner unter den Menschen, (unter den Engeln möchte es allenfalls seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm hätte vergleichen können an Gestalt, Auf- richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol- cher Freundschaft genossen, hab’ ich es verredet und es däucht mir unbillig zu seyn nach seinem Tode meine Liebe einem an- dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein Fuſs in die Schlinge seines Verhängnisses, daſs er schleunigst ins Grab muſste. Ich habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als ein Wächter gesessen und gelegen und gar viele Trauerlieder über seinen Tod und unser Scheiden ausgesprochen, welche mir und andern noch immer rührend bleiben.“ Buch der Parabeln. Obgleich die westlichen Nationen vom Reichthum des Orients sich vieles zugeeignet, so wird sich doch hier noch manches einzuerndten

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 418[420]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/430>, abgerufen am 26.06.2024.