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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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monstrose Religion, dem Lebemenschen aber
eine abstruse Philosophie keineswegs an-
nehmlich seyn konnte; so nahm man von
dort her, was allen Menschen immer gleich
willkommen ist, Schriften die sich auf
Weltklugheit beziehen; da man denn auf
die Fabeln des Bidpai den höchsten Werth
legte und dadurch schon eine künftige Poe-
sie in ihrem tiefsten Grund zerstörte. Zu-
gleich hatte man aus derselben Quelle das
Schachspiel erhalten, welches, in Bezug
mit jener Weltklugheit, allem Dichtersinn
den Garaus zu machen völlig geeignet ist.
Setzen wir dieses voraus, so werden wir
das Naturell der späteren persichen Dichter,
sobald sie durch günstige Anlässe hervorge-
rufen wurden, höchlich rühmen und be-
wundern, wie sie so manche Ungunst be-
kämpfen, ihr ausweichen, oder vielleicht
gar überwinden können.

Die Nähe von Byzanz, die Kriege mit
den westlichen Kaisern und daraus entsprin-
genden wechselseitigen Verhältnisse bringen
endlich ein Gemisch hervor, wobey die
christliche Religion zwischen die der alten
Parsen sich einschlingt, nicht ohne Wider-

monstrose Religion, dem Lebemenschen aber
eine abstruse Philosophie keineswegs an-
nehmlich seyn konnte; so nahm man von
dort her, was allen Menschen immer gleich
willkommen ist, Schriften die sich auf
Weltklugheit beziehen; da man denn auf
die Fabeln des Bidpai den höchsten Werth
legte und dadurch schon eine künftige Poe-
sie in ihrem tiefsten Grund zerstörte. Zu-
gleich hatte man aus derselben Quelle das
Schachspiel erhalten, welches, in Bezug
mit jener Weltklugheit, allem Dichtersinn
den Garaus zu machen völlig geeignet ist.
Setzen wir dieses voraus, so werden wir
das Naturell der späteren persichen Dichter,
sobald sie durch günstige Anlässe hervorge-
rufen wurden, höchlich rühmen und be-
wundern, wie sie so manche Ungunst be-
kämpfen, ihr ausweichen, oder vielleicht
gar überwinden können.

Die Nähe von Byzanz, die Kriege mit
den westlichen Kaisern und daraus entsprin-
genden wechselseitigen Verhältnisse bringen
endlich ein Gemisch hervor, wobey die
christliche Religion zwischen die der alten
Parsen sich einschlingt, nicht ohne Wider-

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[278/0288] monstrose Religion, dem Lebemenschen aber eine abstruse Philosophie keineswegs an- nehmlich seyn konnte; so nahm man von dort her, was allen Menschen immer gleich willkommen ist, Schriften die sich auf Weltklugheit beziehen; da man denn auf die Fabeln des Bidpai den höchsten Werth legte und dadurch schon eine künftige Poe- sie in ihrem tiefsten Grund zerstörte. Zu- gleich hatte man aus derselben Quelle das Schachspiel erhalten, welches, in Bezug mit jener Weltklugheit, allem Dichtersinn den Garaus zu machen völlig geeignet ist. Setzen wir dieses voraus, so werden wir das Naturell der späteren persichen Dichter, sobald sie durch günstige Anlässe hervorge- rufen wurden, höchlich rühmen und be- wundern, wie sie so manche Ungunst be- kämpfen, ihr ausweichen, oder vielleicht gar überwinden können. Die Nähe von Byzanz, die Kriege mit den westlichen Kaisern und daraus entsprin- genden wechselseitigen Verhältnisse bringen endlich ein Gemisch hervor, wobey die christliche Religion zwischen die der alten Parsen sich einschlingt, nicht ohne Wider-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/288>, abgerufen am 22.12.2024.