Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

ten. Die altpersische Sprache wurde her-
vorgezogen, die griechische verdrängt und
zu einer eignen Nationalität wieder Grund
gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeit-
raum von vierhundert Jahren die mytholo-
gische Vorgeschichte persischer Ereignisse,
durch poetisch-prosaische Nachklänge, ei-
nigermassen erhalten. Die glanzreiche Däm-
merung derselben erfreut uns immerfort und
eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und
Ereignissen erweckt grossen Antheil.

Was wir aber auch von Bild- und Bau-
kunst dieser Epoche vernehmen, so ging es
damit doch bloss auf Pracht und Herrlich-
keit, Grösse und Weitläuftigkeit und un-
förmliche Gestalten hinaus; und wie konnt'
es auch anders werden? da sie ihre Kunst
vom Abendlande hernehmen mussten, die
schon dort so tief entwürdigt war. Der
Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sa-
por des Ersten, einen Onyx, offenbar von
einem westlichen Künstler damaliger Zeit,
vielleicht einem Kriegsgefangnen, geschnit-
ten. Und sollte der Siegelschneider des
überwindenden Sassaniden geschickter ge-
wesen seyn als der Stempelschneider des

ten. Die altpersische Sprache wurde her-
vorgezogen, die griechische verdrängt und
zu einer eignen Nationalität wieder Grund
gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeit-
raum von vierhundert Jahren die mytholo-
gische Vorgeschichte persischer Ereignisse,
durch poetisch-prosaische Nachklänge, ei-
nigermaſsen erhalten. Die glanzreiche Däm-
merung derselben erfreut uns immerfort und
eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und
Ereignissen erweckt groſsen Antheil.

Was wir aber auch von Bild- und Bau-
kunst dieser Epoche vernehmen, so ging es
damit doch bloſs auf Pracht und Herrlich-
keit, Gröſse und Weitläuftigkeit und un-
förmliche Gestalten hinaus; und wie konnt’
es auch anders werden? da sie ihre Kunst
vom Abendlande hernehmen muſsten, die
schon dort so tief entwürdigt war. Der
Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sa-
por des Ersten, einen Onyx, offenbar von
einem westlichen Künstler damaliger Zeit,
vielleicht einem Kriegsgefangnen, geschnit-
ten. Und sollte der Siegelschneider des
überwindenden Sassaniden geschickter ge-
wesen seyn als der Stempelschneider des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="276"/>
ten. Die altpersische Sprache wurde her-<lb/>
vorgezogen, die griechische verdrängt und<lb/>
zu einer eignen Nationalität wieder Grund<lb/>
gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeit-<lb/>
raum von vierhundert Jahren die mytholo-<lb/>
gische Vorgeschichte persischer Ereignisse,<lb/>
durch poetisch-prosaische Nachklänge, ei-<lb/>
nigerma&#x017F;sen erhalten. Die glanzreiche Däm-<lb/>
merung derselben erfreut uns immerfort und<lb/>
eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und<lb/>
Ereignissen erweckt gro&#x017F;sen Antheil.</p><lb/>
          <p>Was wir aber auch von Bild- und Bau-<lb/>
kunst dieser Epoche vernehmen, so ging es<lb/>
damit doch blo&#x017F;s auf Pracht und Herrlich-<lb/>
keit, Grö&#x017F;se und Weitläuftigkeit und un-<lb/>
förmliche Gestalten hinaus; und wie konnt&#x2019;<lb/>
es auch anders werden? da sie ihre Kunst<lb/>
vom Abendlande hernehmen mu&#x017F;sten, die<lb/>
schon dort so tief entwürdigt war. Der<lb/>
Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sa-<lb/>
por des Ersten, einen Onyx, offenbar von<lb/>
einem westlichen Künstler damaliger Zeit,<lb/>
vielleicht einem Kriegsgefangnen, geschnit-<lb/>
ten. Und sollte der Siegelschneider des<lb/>
überwindenden Sassaniden geschickter ge-<lb/>
wesen seyn als der Stempelschneider des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0286] ten. Die altpersische Sprache wurde her- vorgezogen, die griechische verdrängt und zu einer eignen Nationalität wieder Grund gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeit- raum von vierhundert Jahren die mytholo- gische Vorgeschichte persischer Ereignisse, durch poetisch-prosaische Nachklänge, ei- nigermaſsen erhalten. Die glanzreiche Däm- merung derselben erfreut uns immerfort und eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und Ereignissen erweckt groſsen Antheil. Was wir aber auch von Bild- und Bau- kunst dieser Epoche vernehmen, so ging es damit doch bloſs auf Pracht und Herrlich- keit, Gröſse und Weitläuftigkeit und un- förmliche Gestalten hinaus; und wie konnt’ es auch anders werden? da sie ihre Kunst vom Abendlande hernehmen muſsten, die schon dort so tief entwürdigt war. Der Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sa- por des Ersten, einen Onyx, offenbar von einem westlichen Künstler damaliger Zeit, vielleicht einem Kriegsgefangnen, geschnit- ten. Und sollte der Siegelschneider des überwindenden Sassaniden geschickter ge- wesen seyn als der Stempelschneider des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/286
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/286>, abgerufen am 16.06.2024.