den: Aufmerksamkeit, Reinlichkeit, Fleiss wird angeregt und genährt. Hierauf war die Landescultur gegründet, denn wie sie keinen Fluss verunreinigten, so wurden auch die Canäle mit sorgfältiger Wasserersparniss angelegt und rein gehalten, aus deren Cir- kulation die Fruchtbarkeit des Landes ent- quoll, so dass das Reich damals über das Zehnfache mehr bebaut war. Alles wozu die Sonne lächelte ward mit höchstem Fleiss betrieben, vor anderm aber die Weinrebe, das eigentlichste Kind der Sonne, gepflegt.
Die seltsame Art ihre Todten zu be- statten leitet sich her aus eben dem über- triebenen Vorsatz, die reinen Elemente nicht zu verunreinigen. Auch die Stadtpolizey wirkt aus diesen Grundsätzen: Reinlichkeit der Strassen war eine Religions-Angelegen- heit, und noch jetzt, da die Guebern ver- trieben, verstossen, verachtet sind und nur allenfalls in Vorstädten in verrufenen Quar- tieren ihre Wohnung finden, vermacht ein Sterbender dieses Bekenntnisses irgend eine Summe, damit eine oder die andere Strasse der Hauptstadt sogleich möge völlig gerei- nigt werden. Durch eine so lebendige prak-
den: Aufmerksamkeit, Reinlichkeit, Fleiſs wird angeregt und genährt. Hierauf war die Landescultur gegründet, denn wie sie keinen Fluſs verunreinigten, so wurden auch die Canäle mit sorgfältiger Wasserersparniſs angelegt und rein gehalten, aus deren Cir- kulation die Fruchtbarkeit des Landes ent- quoll, so daſs das Reich damals über das Zehnfache mehr bebaut war. Alles wozu die Sonne lächelte ward mit höchstem Fleiſs betrieben, vor anderm aber die Weinrebe, das eigentlichste Kind der Sonne, gepflegt.
Die seltsame Art ihre Todten zu be- statten leitet sich her aus eben dem über- triebenen Vorsatz, die reinen Elemente nicht zu verunreinigen. Auch die Stadtpolizey wirkt aus diesen Grundsätzen: Reinlichkeit der Straſsen war eine Religions-Angelegen- heit, und noch jetzt, da die Guebern ver- trieben, verstoſsen, verachtet sind und nur allenfalls in Vorstädten in verrufenen Quar- tieren ihre Wohnung finden, vermacht ein Sterbender dieses Bekenntnisses irgend eine Summe, damit eine oder die andere Straſse der Hauptstadt sogleich möge völlig gerei- nigt werden. Durch eine so lebendige prak-
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den: Aufmerksamkeit, Reinlichkeit, Fleiſs
wird angeregt und genährt. Hierauf war
die Landescultur gegründet, denn wie sie
keinen Fluſs verunreinigten, so wurden auch
die Canäle mit sorgfältiger Wasserersparniſs
angelegt und rein gehalten, aus deren Cir-
kulation die Fruchtbarkeit des Landes ent-
quoll, so daſs das Reich damals über das
Zehnfache mehr bebaut war. Alles wozu
die Sonne lächelte ward mit höchstem Fleiſs
betrieben, vor anderm aber die Weinrebe,
das eigentlichste Kind der Sonne, gepflegt.
Die seltsame Art ihre Todten zu be-
statten leitet sich her aus eben dem über-
triebenen Vorsatz, die reinen Elemente nicht
zu verunreinigen. Auch die Stadtpolizey
wirkt aus diesen Grundsätzen: Reinlichkeit
der Straſsen war eine Religions-Angelegen-
heit, und noch jetzt, da die Guebern ver-
trieben, verstoſsen, verachtet sind und nur
allenfalls in Vorstädten in verrufenen Quar-
tieren ihre Wohnung finden, vermacht ein
Sterbender dieses Bekenntnisses irgend eine
Summe, damit eine oder die andere Straſse
der Hauptstadt sogleich möge völlig gerei-
nigt werden. Durch eine so lebendige prak-
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/275>, abgerufen am 23.12.2024.
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