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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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Diese mit Ceremonien, mit Weihen und
Entsühnen, mit Kommen und Gehen, Nei-
gen und Beugen umständlich auszufüllen,
ist Pflicht und Vortheil der Priesterschaft,
welche denn ihr Gewerbe, durch Jahrhun-
derte durch, in unendliche Kleinlichkeiten
zersplittert. Wer von der ersten kindlich-
frohen Verehrung einer aufgehenden Sonne
bis zur Verrücktheit der Guebern, wie sie
noch diesen Tag in Indien Statt findet, sich
einen schnellen Ueberblick verschaffen kann,
der mag dort eine frische, vom Schlaf dem
ersten Tageslicht sich entgegenregende Na-
tion erblicken, hier aber ein verdüstertes
Volk, welches gemeine Langeweile durch
fromme Langeweile zu tödten trachtet.

Wichtig ist es jedoch zu bemerken,
dass die alten Parsen nicht etwa nur das
Feuer verehrt; ihre Religion ist durchaus
auf die Würde der sämmtlichen Elemente
gegründet, in sofern sie das Daseyn und
die Macht Gottes verkündigen. Daher die
heilige Scheu das Wasser, die Luft, die
Erde zu besudeln. Eine solche Ehrfurcht
vor allem was den Menschen Natürliches
umgiebt leitet auf alle bürgerliche Tugen-

Diese mit Ceremonien, mit Weihen und
Entsühnen, mit Kommen und Gehen, Nei-
gen und Beugen umständlich auszufüllen,
ist Pflicht und Vortheil der Priesterschaft,
welche denn ihr Gewerbe, durch Jahrhun-
derte durch, in unendliche Kleinlichkeiten
zersplittert. Wer von der ersten kindlich-
frohen Verehrung einer aufgehenden Sonne
bis zur Verrücktheit der Guebern, wie sie
noch diesen Tag in Indien Statt findet, sich
einen schnellen Ueberblick verschaffen kann,
der mag dort eine frische, vom Schlaf dem
ersten Tageslicht sich entgegenregende Na-
tion erblicken, hier aber ein verdüstertes
Volk, welches gemeine Langeweile durch
fromme Langeweile zu tödten trachtet.

Wichtig ist es jedoch zu bemerken,
daſs die alten Parsen nicht etwa nur das
Feuer verehrt; ihre Religion ist durchaus
auf die Würde der sämmtlichen Elemente
gegründet, in sofern sie das Daseyn und
die Macht Gottes verkündigen. Daher die
heilige Scheu das Wasser, die Luft, die
Erde zu besudeln. Eine solche Ehrfurcht
vor allem was den Menschen Natürliches
umgiebt leitet auf alle bürgerliche Tugen-

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[264/0274] Diese mit Ceremonien, mit Weihen und Entsühnen, mit Kommen und Gehen, Nei- gen und Beugen umständlich auszufüllen, ist Pflicht und Vortheil der Priesterschaft, welche denn ihr Gewerbe, durch Jahrhun- derte durch, in unendliche Kleinlichkeiten zersplittert. Wer von der ersten kindlich- frohen Verehrung einer aufgehenden Sonne bis zur Verrücktheit der Guebern, wie sie noch diesen Tag in Indien Statt findet, sich einen schnellen Ueberblick verschaffen kann, der mag dort eine frische, vom Schlaf dem ersten Tageslicht sich entgegenregende Na- tion erblicken, hier aber ein verdüstertes Volk, welches gemeine Langeweile durch fromme Langeweile zu tödten trachtet. Wichtig ist es jedoch zu bemerken, daſs die alten Parsen nicht etwa nur das Feuer verehrt; ihre Religion ist durchaus auf die Würde der sämmtlichen Elemente gegründet, in sofern sie das Daseyn und die Macht Gottes verkündigen. Daher die heilige Scheu das Wasser, die Luft, die Erde zu besudeln. Eine solche Ehrfurcht vor allem was den Menschen Natürliches umgiebt leitet auf alle bürgerliche Tugen-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/274>, abgerufen am 23.12.2024.