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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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nen aber eine düstre Religionshülle über-
warf und jede Aussicht auf reinere Fort-
schritte zu verhüllen wusste.

Der Werth dieser trefflichen Gedichte,
an Zahl Sieben, wird noch dadurch erhöht,
dass die grösste Mannigfaltigkeit in ihnen
herrscht. Hiervon können wir nicht kür-
zere und würdigere Rechenschaft geben, als
wenn wir einschaltend hinlegen, wie der
einsichtige Jones ihren Charakter aus-
spricht. "Amralkais Gedicht ist weich,
froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und
anmuthig. Tarafas: kühn, aufgeregt, auf-
springend und doch mit einiger Fröhlichkeit
durchwebt. Das Gedicht von Zoheir
scharf, ernst, keusch, voll moralischer Ge-
bote und ernster Sprüche. Lebid's Dich-
tung ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie
erinnert an Virgil's zweite Ekloge: denn er
beschwert sich über der Geliebten Stolz und
Hochmuth und nimmt daher Anlass seine
Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines
Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied
Antaras zeigt sich stolz, drohend, tref-
fend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit
der Beschreibungen und Bilder. Amri ist

nen aber eine düstre Religionshülle über-
warf und jede Aussicht auf reinere Fort-
schritte zu verhüllen wuſste.

Der Werth dieser trefflichen Gedichte,
an Zahl Sieben, wird noch dadurch erhöht,
daſs die gröſste Mannigfaltigkeit in ihnen
herrscht. Hiervon können wir nicht kür-
zere und würdigere Rechenschaft geben, als
wenn wir einschaltend hinlegen, wie der
einsichtige Jones ihren Charakter aus-
spricht. „Amralkais Gedicht ist weich,
froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und
anmuthig. Tarafas: kühn, aufgeregt, auf-
springend und doch mit einiger Fröhlichkeit
durchwebt. Das Gedicht von Zoheir
scharf, ernst, keusch, voll moralischer Ge-
bote und ernster Sprüche. Lebid’s Dich-
tung ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie
erinnert an Virgil’s zweite Ekloge: denn er
beschwert sich über der Geliebten Stolz und
Hochmuth und nimmt daher Anlaſs seine
Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines
Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied
Antaras zeigt sich stolz, drohend, tref-
fend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit
der Beschreibungen und Bilder. Amri ist

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[252/0262] nen aber eine düstre Religionshülle über- warf und jede Aussicht auf reinere Fort- schritte zu verhüllen wuſste. Der Werth dieser trefflichen Gedichte, an Zahl Sieben, wird noch dadurch erhöht, daſs die gröſste Mannigfaltigkeit in ihnen herrscht. Hiervon können wir nicht kür- zere und würdigere Rechenschaft geben, als wenn wir einschaltend hinlegen, wie der einsichtige Jones ihren Charakter aus- spricht. „Amralkais Gedicht ist weich, froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und anmuthig. Tarafas: kühn, aufgeregt, auf- springend und doch mit einiger Fröhlichkeit durchwebt. Das Gedicht von Zoheir scharf, ernst, keusch, voll moralischer Ge- bote und ernster Sprüche. Lebid’s Dich- tung ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie erinnert an Virgil’s zweite Ekloge: denn er beschwert sich über der Geliebten Stolz und Hochmuth und nimmt daher Anlaſs seine Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied Antaras zeigt sich stolz, drohend, tref- fend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit der Beschreibungen und Bilder. Amri ist

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/262>, abgerufen am 16.06.2024.