daß er ohne Gold und Silber doch so wohl lebe, und jedermann ihn lieb habe. Er entdeckte ihr die Macht des Ringes, sie schwatzte ihm denselben ab, unter dem Vorwande, ihn zu bewahren, und als er ihn wie- der foderte nach einiger Zeit, that sie bestürzt, und gab vor, die Diebe hätten ihn gestohlen. Er erschrack und weinte bitterlich, und gieng nach Hause, und klagte sein Unglück seiner Mutter. Sie gab ihm mit War- nungen und guten Ermahnungen das Heftlin. Er zog von neuem aus, und die Jungfrau begegnete ihm wie- der, sie lebten in Jubel und Freude miteinander, und der Jungfrau gelang es, sich auch des Heftlins zu be- mächtigen, indem sie versprach, es diesmal besser zu bewahren. Der nämliche Vorwand wie beim Fingerlin. Jonathan gieng nun zornig zur Mutter, und die gab ihm das Tuch mit der Erinnerung: es sey das Letzte von seinem Erbe. Er eilte hin in das Haus der Jungfrau, die empfieng ihn schön; eines Tags aber breitete er sein Tuch auf im Hause, und bat die Jungfrau, daß sie zu ihm säße. Da sie das thät, da wünschte er sich ans Ende der Welt in eine Wild- niß. Da sie erstaunt und verzagt ihn ansah, da fo- derte er ihr drohend das Entwendete zurück, und sie versprach alles, sobald sie wieder heimgekehrt wären. Er aber entschlief in Freuden, und sie zog das Tuch
daß er ohne Gold und Silber doch ſo wohl lebe, und jedermann ihn lieb habe. Er entdeckte ihr die Macht des Ringes, ſie ſchwatzte ihm denſelben ab, unter dem Vorwande, ihn zu bewahren, und als er ihn wie- der foderte nach einiger Zeit, that ſie beſtürzt, und gab vor, die Diebe hätten ihn geſtohlen. Er erſchrack und weinte bitterlich, und gieng nach Hauſe, und klagte ſein Unglück ſeiner Mutter. Sie gab ihm mit War- nungen und guten Ermahnungen das Heftlin. Er zog von neuem aus, und die Jungfrau begegnete ihm wie- der, ſie lebten in Jubel und Freude miteinander, und der Jungfrau gelang es, ſich auch des Heftlins zu be- mächtigen, indem ſie verſprach, es diesmal beſſer zu bewahren. Der nämliche Vorwand wie beim Fingerlin. Jonathan gieng nun zornig zur Mutter, und die gab ihm das Tuch mit der Erinnerung: es ſey das Letzte von ſeinem Erbe. Er eilte hin in das Haus der Jungfrau, die empfieng ihn ſchön; eines Tags aber breitete er ſein Tuch auf im Hauſe, und bat die Jungfrau, daß ſie zu ihm ſäße. Da ſie das thät, da wünſchte er ſich ans Ende der Welt in eine Wild- niß. Da ſie erſtaunt und verzagt ihn anſah, da fo- derte er ihr drohend das Entwendete zurück, und ſie verſprach alles, ſobald ſie wieder heimgekehrt wären. Er aber entſchlief in Freuden, und ſie zog das Tuch
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daß er ohne Gold und Silber doch ſo wohl lebe, und
jedermann ihn lieb habe. Er entdeckte ihr die Macht
des Ringes, ſie ſchwatzte ihm denſelben ab, unter
dem Vorwande, ihn zu bewahren, und als er ihn wie-
der foderte nach einiger Zeit, that ſie beſtürzt, und gab
vor, die Diebe hätten ihn geſtohlen. Er erſchrack und
weinte bitterlich, und gieng nach Hauſe, und klagte
ſein Unglück ſeiner Mutter. Sie gab ihm mit War-
nungen und guten Ermahnungen das Heftlin. Er zog
von neuem aus, und die Jungfrau begegnete ihm wie-
der, ſie lebten in Jubel und Freude miteinander, und
der Jungfrau gelang es, ſich auch des Heftlins zu be-
mächtigen, indem ſie verſprach, es diesmal beſſer zu
bewahren. Der nämliche Vorwand wie beim Fingerlin.
Jonathan gieng nun zornig zur Mutter, und die gab
ihm das Tuch mit der Erinnerung: es ſey das Letzte
von ſeinem Erbe. Er eilte hin in das Haus der
Jungfrau, die empfieng ihn ſchön; eines Tags aber
breitete er ſein Tuch auf im Hauſe, und bat die
Jungfrau, daß ſie zu ihm ſäße. Da ſie das thät, da
wünſchte er ſich ans Ende der Welt in eine Wild-
niß. Da ſie erſtaunt und verzagt ihn anſah, da fo-
derte er ihr drohend das Entwendete zurück, und ſie
verſprach alles, ſobald ſie wieder heimgekehrt wären.
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/98>, abgerufen am 28.11.2024.
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