Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

von Rulant gemacht, wie sie diu Heidenschafft übernom-
men, und in dem Fragmente über den Krieg Carls des
Großen gegen die Sarazenen, das Schilter in seinem
Thesaurus mitgetheilt, die aus dem dreyzehnten Jahr-
hunderte sind, und von denen man das Letzte dem
Wolfram von Eschilbach zugeschrieben. Hier erscheint
Carl durchaus als Heiliger; als von Gott gesendet, das

Löwen in Kampf einläßt. Selbsi Roland, den die folgen-
den Dichtungen zu ihrem Helden gewählt, erscheint in
einem zweideutigen Lichte; der Himmel muß auf Carls
Gebet eine Nebelwolke senden, um ihn Reynolds Stärke
zu entziehen. Was aber diese ganze Opposition eigentlich
begründet habe, mögte schwer auszumitteln seyn; ob
schon damals so frühe schon der Gegensatz des französischen
Characters mit dem Teutschen hervorgetreten ist; ob es
drückend für den gallischen Grundstamm der Nation war,
von einem exotischen teutschen Geiste beherrscht zu werden,
und er sich nun reagirend in der spätern Zeit gegen dies
drückende Gefühl gewaffnet habe durch die Poesie, oder
was sonst die nächste Veranlassung war: auf jeden Fall
ist die Erscheinung nicht leicht zufällig und ohne tiefern
Grund. Uebrigens giebt der opponirende Geist sich sehr be-
scheiden zu erkennen, überall werden die Lehenspflichten,
selbst in der Hitze des Kampfes, geehrt; der eigne
Vater streitet deswegen, seinem Schwur gerreu, gegen
die Söhne; Carls Befehl hemmt einmal plötzlich das
Gefecht, und am Ende geht er immer gewissermaßen
siegreich aus dem Kampfe, indem zu seiner Genugthuung
das Roß ihm übergeben wird, und sein Gegner das
Land verläßt.

von Rulant gemacht, wie ſie diu Heidenſchafft übernom-
men, und in dem Fragmente über den Krieg Carls des
Großen gegen die Sarazenen, das Schilter in ſeinem
Theſaurus mitgetheilt, die aus dem dreyzehnten Jahr-
hunderte ſind, und von denen man das Letzte dem
Wolfram von Eſchilbach zugeſchrieben. Hier erſcheint
Carl durchaus als Heiliger; als von Gott geſendet, das

Löwen in Kampf einläßt. Selbſi Roland, den die folgen-
den Dichtungen zu ihrem Helden gewählt, erſcheint in
einem zweideutigen Lichte; der Himmel muß auf Carls
Gebet eine Nebelwolke ſenden, um ihn Reynolds Stärke
zu entziehen. Was aber dieſe ganze Oppoſition eigentlich
begründet habe, mögte ſchwer auszumitteln ſeyn; ob
ſchon damals ſo frühe ſchon der Gegenſatz des franzöſiſchen
Characters mit dem Teutſchen hervorgetreten iſt; ob es
drückend für den galliſchen Grundſtamm der Nation war,
von einem exotiſchen teutſchen Geiſte beherrſcht zu werden,
und er ſich nun reagirend in der ſpätern Zeit gegen dies
drückende Gefühl gewaffnet habe durch die Poeſie, oder
was ſonſt die nächſte Veranlaſſung war: auf jeden Fall
iſt die Erſcheinung nicht leicht zufällig und ohne tiefern
Grund. Uebrigens giebt der opponirende Geiſt ſich ſehr be-
ſcheiden zu erkennen, überall werden die Lehenspflichten,
ſelbſt in der Hitze des Kampfes, geehrt; der eigne
Vater ſtreitet deswegen, ſeinem Schwur gerreu, gegen
die Söhne; Carls Befehl hemmt einmal plötzlich das
Gefecht, und am Ende geht er immer gewiſſermaßen
ſiegreich aus dem Kampfe, indem zu ſeiner Genugthuung
das Roß ihm übergeben wird, und ſein Gegner das
Land verläßt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="124"/>
von Rulant gemacht, wie &#x017F;ie diu Heiden&#x017F;chafft übernom-<lb/>
men, und in dem Fragmente über den Krieg Carls des<lb/>
Großen gegen die Sarazenen, das Schilter in &#x017F;einem<lb/>
The&#x017F;aurus mitgetheilt, die aus dem dreyzehnten Jahr-<lb/>
hunderte &#x017F;ind, und von denen man das Letzte dem<lb/>
Wolfram von E&#x017F;chilbach zuge&#x017F;chrieben. Hier er&#x017F;cheint<lb/>
Carl durchaus als Heiliger; als von Gott ge&#x017F;endet, das<lb/><note xml:id="note-0142" prev="#note-0141" place="foot" n="*)">Löwen in Kampf einläßt. Selb&#x017F;i Roland, den die folgen-<lb/>
den Dichtungen zu ihrem Helden gewählt, er&#x017F;cheint in<lb/>
einem zweideutigen Lichte; der Himmel muß auf Carls<lb/>
Gebet eine Nebelwolke &#x017F;enden, um ihn Reynolds Stärke<lb/>
zu entziehen. Was aber die&#x017F;e ganze Oppo&#x017F;ition eigentlich<lb/>
begründet habe, mögte &#x017F;chwer auszumitteln &#x017F;eyn; ob<lb/>
&#x017F;chon damals &#x017F;o frühe &#x017F;chon der Gegen&#x017F;atz des franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Characters mit dem Teut&#x017F;chen hervorgetreten i&#x017F;t; ob es<lb/>
drückend für den galli&#x017F;chen Grund&#x017F;tamm der Nation war,<lb/>
von einem exoti&#x017F;chen teut&#x017F;chen Gei&#x017F;te beherr&#x017F;cht zu werden,<lb/>
und er &#x017F;ich nun reagirend in der &#x017F;pätern Zeit gegen dies<lb/>
drückende Gefühl gewaffnet habe durch die Poe&#x017F;ie, oder<lb/>
was &#x017F;on&#x017F;t die näch&#x017F;te Veranla&#x017F;&#x017F;ung war: auf jeden Fall<lb/>
i&#x017F;t die Er&#x017F;cheinung nicht leicht zufällig und ohne tiefern<lb/>
Grund. Uebrigens giebt der opponirende Gei&#x017F;t &#x017F;ich &#x017F;ehr be-<lb/>
&#x017F;cheiden zu erkennen, überall werden die Lehenspflichten,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in der Hitze des Kampfes, geehrt; der eigne<lb/>
Vater &#x017F;treitet deswegen, &#x017F;einem Schwur gerreu, gegen<lb/>
die Söhne; Carls Befehl hemmt einmal plötzlich das<lb/>
Gefecht, und am Ende geht er immer gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen<lb/>
&#x017F;iegreich aus dem Kampfe, indem zu &#x017F;einer Genugthuung<lb/>
das Roß ihm übergeben wird, und &#x017F;ein Gegner das<lb/>
Land verläßt.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0142] von Rulant gemacht, wie ſie diu Heidenſchafft übernom- men, und in dem Fragmente über den Krieg Carls des Großen gegen die Sarazenen, das Schilter in ſeinem Theſaurus mitgetheilt, die aus dem dreyzehnten Jahr- hunderte ſind, und von denen man das Letzte dem Wolfram von Eſchilbach zugeſchrieben. Hier erſcheint Carl durchaus als Heiliger; als von Gott geſendet, das *) *) Löwen in Kampf einläßt. Selbſi Roland, den die folgen- den Dichtungen zu ihrem Helden gewählt, erſcheint in einem zweideutigen Lichte; der Himmel muß auf Carls Gebet eine Nebelwolke ſenden, um ihn Reynolds Stärke zu entziehen. Was aber dieſe ganze Oppoſition eigentlich begründet habe, mögte ſchwer auszumitteln ſeyn; ob ſchon damals ſo frühe ſchon der Gegenſatz des franzöſiſchen Characters mit dem Teutſchen hervorgetreten iſt; ob es drückend für den galliſchen Grundſtamm der Nation war, von einem exotiſchen teutſchen Geiſte beherrſcht zu werden, und er ſich nun reagirend in der ſpätern Zeit gegen dies drückende Gefühl gewaffnet habe durch die Poeſie, oder was ſonſt die nächſte Veranlaſſung war: auf jeden Fall iſt die Erſcheinung nicht leicht zufällig und ohne tiefern Grund. Uebrigens giebt der opponirende Geiſt ſich ſehr be- ſcheiden zu erkennen, überall werden die Lehenspflichten, ſelbſt in der Hitze des Kampfes, geehrt; der eigne Vater ſtreitet deswegen, ſeinem Schwur gerreu, gegen die Söhne; Carls Befehl hemmt einmal plötzlich das Gefecht, und am Ende geht er immer gewiſſermaßen ſiegreich aus dem Kampfe, indem zu ſeiner Genugthuung das Roß ihm übergeben wird, und ſein Gegner das Land verläßt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/142
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/142>, abgerufen am 19.05.2024.