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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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muß bald diese bald jene Einseitigkeit sich zu einer
mißgeschaffenen Gestalt verkörpern, die sie dann nach
Gutbefinden zerschlagen, um andern Aftergeburten
Raum zu schaffen; rastlos wie vom bösen Geist beses¬
sen, hetzen und jagen sie Dinge und Menschen durch¬
einander, daß nichts in Ruhe sich bewurzeln mag.
Da keine Ahnung in ihnen zurückgeblieben von dem
stillen, leisen gelassenen Gange, in dem die Natur
ihre Bildungen entfaltet, so ist's der Mechanism,
dem sich ihre Ungeduld verschreibt, und der Staat
wird unter ihren Händen zu einer Dampfmaschine,
in deren Säule sie selbst ein heißer Schwaden auf-
und niederziehen, und der nun mit ungeheurem Ge¬
polter die großen Hebel treibt, daß das Werk Geld
zugleich münzt und pumpt, hämmert, spinnt und
schreibt und seines Gleichen wieder schmiedet. In die¬
sem Mechanism, dem alles gerade Linie und Zahl gewor¬
den, müssen alle Linien zu einem Mittelpunkte, alle Zah¬
len zu einer Einheit gehen, damit die Willkühr von
der Mitte aus nach Gefallen rechnen und richten mag,
und kein menschliches oder bürgerliches Verhältniß
eine störende Selbstständigkeit zu behaupten sich ge¬
traue. Gewaltthätig wird alles der jedesmal herrschen¬
den Idee aufgeopfert; nichts mag so fest gegründet
stehen, daß der Wirbel ihrer Organisationswuth es
zuletzt nicht niederreißt; alles Große, was die Wur¬
zeln tief in die Zeit geschlagen, ruhig gesichert in sich
beharren will, erscheint ihnen strafbar und rebellisch;
und sie biethen alle Elemente auf, es zu sprengen und
im Grunde zu zerstören, damit nichts als ihre per¬
spectivisch gemahlten Riesenwerke übrig bleiben. Da

muß bald dieſe bald jene Einſeitigkeit ſich zu einer
mißgeſchaffenen Geſtalt verkörpern, die ſie dann nach
Gutbefinden zerſchlagen, um andern Aftergeburten
Raum zu ſchaffen; raſtlos wie vom böſen Geiſt beſeſ¬
ſen, hetzen und jagen ſie Dinge und Menſchen durch¬
einander, daß nichts in Ruhe ſich bewurzeln mag.
Da keine Ahnung in ihnen zurückgeblieben von dem
ſtillen, leiſen gelaſſenen Gange, in dem die Natur
ihre Bildungen entfaltet, ſo iſt's der Mechanism,
dem ſich ihre Ungeduld verſchreibt, und der Staat
wird unter ihren Händen zu einer Dampfmaſchine,
in deren Säule ſie ſelbſt ein heißer Schwaden auf-
und niederziehen, und der nun mit ungeheurem Ge¬
polter die großen Hebel treibt, daß das Werk Geld
zugleich münzt und pumpt, hämmert, ſpinnt und
ſchreibt und ſeines Gleichen wieder ſchmiedet. In die¬
ſem Mechanism, dem alles gerade Linie und Zahl gewor¬
den, müſſen alle Linien zu einem Mittelpunkte, alle Zah¬
len zu einer Einheit gehen, damit die Willkühr von
der Mitte aus nach Gefallen rechnen und richten mag,
und kein menſchliches oder bürgerliches Verhältniß
eine ſtörende Selbſtſtändigkeit zu behaupten ſich ge¬
traue. Gewaltthätig wird alles der jedesmal herrſchen¬
den Idee aufgeopfert; nichts mag ſo feſt gegründet
ſtehen, daß der Wirbel ihrer Organiſationswuth es
zuletzt nicht niederreißt; alles Große, was die Wur¬
zeln tief in die Zeit geſchlagen, ruhig geſichert in ſich
beharren will, erſcheint ihnen ſtrafbar und rebelliſch;
und ſie biethen alle Elemente auf, es zu ſprengen und
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[50/0058] muß bald dieſe bald jene Einſeitigkeit ſich zu einer mißgeſchaffenen Geſtalt verkörpern, die ſie dann nach Gutbefinden zerſchlagen, um andern Aftergeburten Raum zu ſchaffen; raſtlos wie vom böſen Geiſt beſeſ¬ ſen, hetzen und jagen ſie Dinge und Menſchen durch¬ einander, daß nichts in Ruhe ſich bewurzeln mag. Da keine Ahnung in ihnen zurückgeblieben von dem ſtillen, leiſen gelaſſenen Gange, in dem die Natur ihre Bildungen entfaltet, ſo iſt's der Mechanism, dem ſich ihre Ungeduld verſchreibt, und der Staat wird unter ihren Händen zu einer Dampfmaſchine, in deren Säule ſie ſelbſt ein heißer Schwaden auf- und niederziehen, und der nun mit ungeheurem Ge¬ polter die großen Hebel treibt, daß das Werk Geld zugleich münzt und pumpt, hämmert, ſpinnt und ſchreibt und ſeines Gleichen wieder ſchmiedet. In die¬ ſem Mechanism, dem alles gerade Linie und Zahl gewor¬ den, müſſen alle Linien zu einem Mittelpunkte, alle Zah¬ len zu einer Einheit gehen, damit die Willkühr von der Mitte aus nach Gefallen rechnen und richten mag, und kein menſchliches oder bürgerliches Verhältniß eine ſtörende Selbſtſtändigkeit zu behaupten ſich ge¬ traue. Gewaltthätig wird alles der jedesmal herrſchen¬ den Idee aufgeopfert; nichts mag ſo feſt gegründet ſtehen, daß der Wirbel ihrer Organiſationswuth es zuletzt nicht niederreißt; alles Große, was die Wur¬ zeln tief in die Zeit geſchlagen, ruhig geſichert in ſich beharren will, erſcheint ihnen ſtrafbar und rebelliſch; und ſie biethen alle Elemente auf, es zu ſprengen und im Grunde zu zerſtören, damit nichts als ihre per¬ ſpectiviſch gemahlten Rieſenwerke übrig bleiben. Da

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/58>, abgerufen am 03.05.2024.