Heimathrecht besessen, billig sich als den Stamm betrach¬ ten dürfe, dem alles neu Zuwachsende sich anfügen müsse.
In dem Streite der sich nun erhoben, gesellte sich, wie es zu geschehen pflegt, zu der Parthey, die das Urkundliche vertrat, der starre kleinliche Eigensinn im Beharren auf Nebendingen; der enge beschränkte Sinn, der das Wesentliche von dem Zufälligen nicht zu un¬ terscheiden weiß; die befangene Ansicht, die über den Gesichtskreis des Gewohnten sich nicht zu erheben im Stande ist, und die Rechthaberey und Pedanterie, die auch mit dem völlig Gehaltlosen ihren Aberglauben treibt. Von der andern Seite aber erhoben sich zur Ver¬ theidigung des Zeitlichen auch mit Allem was an der Zeit zu rühmen ist, zugleich die Unarten, die ihr eigen sind; jenes hochmüthige Dahinfahren über Dinge, Lagen, Beziehungen und Verhältnisse; jenes phanta¬ stische Hinauftreiben alles Spezifischen in allgemeine Ab¬ stractionen, und der Dünkel der mit solchen wesenlosen Schemen die ganze Fülle der Eigenthümlichkeit aller Dinge zu beherrschen glaubt; endlich der Leichtsinn, der bey der Fügsamkeit so luftiger Gebilde und ihrer leich¬ ten Handhabung in immerwährender Unruhe und Wan¬ delbarkeit alles übereinanderstürzt, daß nichts ein ge¬ sichertes Gleichgewicht und einen festen Stand gewin¬ nen mag.
Bey so scharfen Gegensätzen mußte die Sache, die in der Mitte lag, nothwendig zerschnitten werden, und die Crise trat dann ein, als der König, gewohnt als Feldherr rasch durchzugreifen, aber vergessend die alte Feldherrnregel, dem fliehenden Feind eine goldne Brücke zu bauen, zu jener achttägigen Fristgebung sich ent¬
Heimathrecht beſeſſen, billig ſich als den Stamm betrach¬ ten dürfe, dem alles neu Zuwachſende ſich anfügen müſſe.
In dem Streite der ſich nun erhoben, geſellte ſich, wie es zu geſchehen pflegt, zu der Parthey, die das Urkundliche vertrat, der ſtarre kleinliche Eigenſinn im Beharren auf Nebendingen; der enge beſchränkte Sinn, der das Weſentliche von dem Zufälligen nicht zu un¬ terſcheiden weiß; die befangene Anſicht, die über den Geſichtskreis des Gewohnten ſich nicht zu erheben im Stande iſt, und die Rechthaberey und Pedanterie, die auch mit dem völlig Gehaltloſen ihren Aberglauben treibt. Von der andern Seite aber erhoben ſich zur Ver¬ theidigung des Zeitlichen auch mit Allem was an der Zeit zu rühmen iſt, zugleich die Unarten, die ihr eigen ſind; jenes hochmüthige Dahinfahren über Dinge, Lagen, Beziehungen und Verhältniſſe; jenes phanta¬ ſtiſche Hinauftreiben alles Spezifiſchen in allgemeine Ab¬ ſtractionen, und der Dünkel der mit ſolchen weſenloſen Schemen die ganze Fülle der Eigenthümlichkeit aller Dinge zu beherrſchen glaubt; endlich der Leichtſinn, der bey der Fügſamkeit ſo luftiger Gebilde und ihrer leich¬ ten Handhabung in immerwährender Unruhe und Wan¬ delbarkeit alles übereinanderſtürzt, daß nichts ein ge¬ ſichertes Gleichgewicht und einen feſten Stand gewin¬ nen mag.
Bey ſo ſcharfen Gegenſätzen mußte die Sache, die in der Mitte lag, nothwendig zerſchnitten werden, und die Criſe trat dann ein, als der König, gewohnt als Feldherr raſch durchzugreifen, aber vergeſſend die alte Feldherrnregel, dem fliehenden Feind eine goldne Brücke zu bauen, zu jener achttägigen Friſtgebung ſich ent¬
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Heimathrecht beſeſſen, billig ſich als den Stamm betrach¬
ten dürfe, dem alles neu Zuwachſende ſich anfügen müſſe.
In dem Streite der ſich nun erhoben, geſellte ſich,
wie es zu geſchehen pflegt, zu der Parthey, die das
Urkundliche vertrat, der ſtarre kleinliche Eigenſinn im
Beharren auf Nebendingen; der enge beſchränkte Sinn,
der das Weſentliche von dem Zufälligen nicht zu un¬
terſcheiden weiß; die befangene Anſicht, die über den
Geſichtskreis des Gewohnten ſich nicht zu erheben im
Stande iſt, und die Rechthaberey und Pedanterie,
die auch mit dem völlig Gehaltloſen ihren Aberglauben
treibt. Von der andern Seite aber erhoben ſich zur Ver¬
theidigung des Zeitlichen auch mit Allem was an der
Zeit zu rühmen iſt, zugleich die Unarten, die ihr eigen
ſind; jenes hochmüthige Dahinfahren über Dinge,
Lagen, Beziehungen und Verhältniſſe; jenes phanta¬
ſtiſche Hinauftreiben alles Spezifiſchen in allgemeine Ab¬
ſtractionen, und der Dünkel der mit ſolchen weſenloſen
Schemen die ganze Fülle der Eigenthümlichkeit aller
Dinge zu beherrſchen glaubt; endlich der Leichtſinn, der
bey der Fügſamkeit ſo luftiger Gebilde und ihrer leich¬
ten Handhabung in immerwährender Unruhe und Wan¬
delbarkeit alles übereinanderſtürzt, daß nichts ein ge¬
ſichertes Gleichgewicht und einen feſten Stand gewin¬
nen mag.
Bey ſo ſcharfen Gegenſätzen mußte die Sache, die
in der Mitte lag, nothwendig zerſchnitten werden, und
die Criſe trat dann ein, als der König, gewohnt als
Feldherr raſch durchzugreifen, aber vergeſſend die alte
Feldherrnregel, dem fliehenden Feind eine goldne Brücke
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/33>, abgerufen am 16.02.2025.
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