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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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ihr bezwang, als der Leibeigenschaft verfallen, in eine
obgleich milde Dienstbarkeit verurtheilte.

In dieser Art von Durchdringung beyder Prinzipien
hat das teutsche Mittelalter seine andere glänzende
Zeit durchlaufen, und Teutschland zum Haupt der
Christenheit erhoben. Aber im Fortschritt der Zeiten
mußte auf demselben Wege, in dem jenes System von
unten herauf sich entwickelt hatte, dasselbe demokratische
Prinzip, das sich in ihm steigernd die ganze Organi¬
sation hervorgetrieben, sich immer weiter um sich brei¬
tend, ihr eigenes Werk zerstören. Als daher die star¬
ken schwäbischen Kayser dahingegangen, und während
ihre Würde an die Wahl geknüpft blieb, Die der
Reichsbeamten erblich wurde, als das wilde Faustrecht
mehr und mehr um sich griff; da mußte die Einheit
mehr und mehr zerrinnen in die Vielheit der zweyte
und besonders der dritte Heerschild mußte sich je mehr
und mehr verstärken, weil sie am meisten von der Ein¬
heit in sich trugen. Diese Verstärkung aber geschah
zugleich aufwärts auf Kosten der kayserlichen Macht,
die sie innerlich aushöhlten; und auf Kosten der untern
Vasallen, die sie theils aussogen, theils durch Beste¬
chung ihrem Interesse gewannen.

So bildete sich die Territorialhoheit allmählig aus,
die, als die Erfindung des Schießpulvers das Kriegs¬
geschick der Lehnsvasallen entbehrlich gemacht, sie theils
in Höflinge, theils in Söldner beim Heere umschuf;
dann als die Entdeckung Amerika's Ströme Goldes in
die Gesellschaft leitete, durch das Steuersystem sich bald
gänzlich unabhängig von der Bewilligung der Grund¬
besitzer machte; endlich als die Reformation ausbrach,
auch die Kirche gänzlich unterjochte. So zerfiel das

ihr bezwang, als der Leibeigenſchaft verfallen, in eine
obgleich milde Dienſtbarkeit verurtheilte.

In dieſer Art von Durchdringung beyder Prinzipien
hat das teutſche Mittelalter ſeine andere glänzende
Zeit durchlaufen, und Teutſchland zum Haupt der
Chriſtenheit erhoben. Aber im Fortſchritt der Zeiten
mußte auf demſelben Wege, in dem jenes Syſtem von
unten herauf ſich entwickelt hatte, daſſelbe demokratiſche
Prinzip, das ſich in ihm ſteigernd die ganze Organi¬
ſation hervorgetrieben, ſich immer weiter um ſich brei¬
tend, ihr eigenes Werk zerſtören. Als daher die ſtar¬
ken ſchwäbiſchen Kayſer dahingegangen, und während
ihre Würde an die Wahl geknüpft blieb, Die der
Reichsbeamten erblich wurde, als das wilde Fauſtrecht
mehr und mehr um ſich griff; da mußte die Einheit
mehr und mehr zerrinnen in die Vielheit der zweyte
und beſonders der dritte Heerſchild mußte ſich je mehr
und mehr verſtärken, weil ſie am meiſten von der Ein¬
heit in ſich trugen. Dieſe Verſtärkung aber geſchah
zugleich aufwärts auf Koſten der kayſerlichen Macht,
die ſie innerlich aushöhlten; und auf Koſten der untern
Vaſallen, die ſie theils ausſogen, theils durch Beſte¬
chung ihrem Intereſſe gewannen.

So bildete ſich die Territorialhoheit allmählig aus,
die, als die Erfindung des Schießpulvers das Kriegs¬
geſchick der Lehnsvaſallen entbehrlich gemacht, ſie theils
in Höflinge, theils in Söldner beim Heere umſchuf;
dann als die Entdeckung Amerika's Ströme Goldes in
die Geſellſchaft leitete, durch das Steuerſyſtem ſich bald
gänzlich unabhängig von der Bewilligung der Grund¬
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auch die Kirche gänzlich unterjochte. So zerfiel das

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[155/0163] ihr bezwang, als der Leibeigenſchaft verfallen, in eine obgleich milde Dienſtbarkeit verurtheilte. In dieſer Art von Durchdringung beyder Prinzipien hat das teutſche Mittelalter ſeine andere glänzende Zeit durchlaufen, und Teutſchland zum Haupt der Chriſtenheit erhoben. Aber im Fortſchritt der Zeiten mußte auf demſelben Wege, in dem jenes Syſtem von unten herauf ſich entwickelt hatte, daſſelbe demokratiſche Prinzip, das ſich in ihm ſteigernd die ganze Organi¬ ſation hervorgetrieben, ſich immer weiter um ſich brei¬ tend, ihr eigenes Werk zerſtören. Als daher die ſtar¬ ken ſchwäbiſchen Kayſer dahingegangen, und während ihre Würde an die Wahl geknüpft blieb, Die der Reichsbeamten erblich wurde, als das wilde Fauſtrecht mehr und mehr um ſich griff; da mußte die Einheit mehr und mehr zerrinnen in die Vielheit der zweyte und beſonders der dritte Heerſchild mußte ſich je mehr und mehr verſtärken, weil ſie am meiſten von der Ein¬ heit in ſich trugen. Dieſe Verſtärkung aber geſchah zugleich aufwärts auf Koſten der kayſerlichen Macht, die ſie innerlich aushöhlten; und auf Koſten der untern Vaſallen, die ſie theils ausſogen, theils durch Beſte¬ chung ihrem Intereſſe gewannen. So bildete ſich die Territorialhoheit allmählig aus, die, als die Erfindung des Schießpulvers das Kriegs¬ geſchick der Lehnsvaſallen entbehrlich gemacht, ſie theils in Höflinge, theils in Söldner beim Heere umſchuf; dann als die Entdeckung Amerika's Ströme Goldes in die Geſellſchaft leitete, durch das Steuerſyſtem ſich bald gänzlich unabhängig von der Bewilligung der Grund¬ beſitzer machte; endlich als die Reformation ausbrach, auch die Kirche gänzlich unterjochte. So zerfiel das

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/163>, abgerufen am 25.11.2024.