Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

griffe ist; stellenweise sind jene Körperschaften ganz
ausgetilgt, und die Historischen sind überdem keines¬
wegs so leichten Kaufs gewonnen; ihr Sinn steht mit
nichten auf die Verknöcherung der letzten Zeit, noch
wollen sie einer verlarvten Willkühr den Vorwand
leihen. Wollte man durch Machtsprüche über Ver¬
hältnisse entscheiden, die in der Badischen Kammer
zuerst zur Erörterung kamen, und die Schlüsse des
Bundestages, ohne Rücksicht auf die Stände, für die
Kammern ohne weiters verbindlich machen; so mochte
man das freylich sich erlauben, aber weil alsdann alle
Verfassung völlig illusorisch wird, so muß dadurch ein
Kampf der Convenienz mit der Natur der Dinge ent¬
stehen, der, da die Letzte immer auf die Länge stär¬
ker bleibt, unausbleiblich zu ihrem Vortheil nach kur¬
zer Frist enden wird. Wollte man eine vollziehende
Macht dem Bundestag creiren; das Herz der Na¬
tion ist von dieser Institution, die man nur für ein
Provisorium zu nehmen sich gewöhnt, abgewendet;
auch nach einem Schattenkaiser ohne Kammer hat sie
nicht die geringste Sehnsucht. Nur einmal ist die
günstige Gelegenheit an den Mächtigen vorbeygegan¬
gen, nun sie den Augenblick versäumt, hat sie sich
zu anderm Orte hingewendet.

Was vermag alle diplomatische Kunst gegen die
mächtige Naturgewalt, die sich in den Völkern täglich
mehr entkettet? Die erste Quelle eines Stromes mag
eines Rosses Huf aus der Erde schlagen, aber in sei¬
nem Laufe vermag kein menschlicher Wille ihn aufzu¬
halten. Eben die Kammern werden ihr Recht der
Einwirkung auf die Beschlüsse des Bundestags durch¬

griffe iſt; ſtellenweiſe ſind jene Körperſchaften ganz
ausgetilgt, und die Hiſtoriſchen ſind überdem keines¬
wegs ſo leichten Kaufs gewonnen; ihr Sinn ſteht mit
nichten auf die Verknöcherung der letzten Zeit, noch
wollen ſie einer verlarvten Willkühr den Vorwand
leihen. Wollte man durch Machtſprüche über Ver¬
hältniſſe entſcheiden, die in der Badiſchen Kammer
zuerſt zur Erörterung kamen, und die Schlüſſe des
Bundestages, ohne Rückſicht auf die Stände, für die
Kammern ohne weiters verbindlich machen; ſo mochte
man das freylich ſich erlauben, aber weil alsdann alle
Verfaſſung völlig illuſoriſch wird, ſo muß dadurch ein
Kampf der Convenienz mit der Natur der Dinge ent¬
ſtehen, der, da die Letzte immer auf die Länge ſtär¬
ker bleibt, unausbleiblich zu ihrem Vortheil nach kur¬
zer Friſt enden wird. Wollte man eine vollziehende
Macht dem Bundestag creiren; das Herz der Na¬
tion iſt von dieſer Inſtitution, die man nur für ein
Proviſorium zu nehmen ſich gewöhnt, abgewendet;
auch nach einem Schattenkaiſer ohne Kammer hat ſie
nicht die geringſte Sehnſucht. Nur einmal iſt die
günſtige Gelegenheit an den Mächtigen vorbeygegan¬
gen, nun ſie den Augenblick verſäumt, hat ſie ſich
zu anderm Orte hingewendet.

Was vermag alle diplomatiſche Kunſt gegen die
mächtige Naturgewalt, die ſich in den Völkern täglich
mehr entkettet? Die erſte Quelle eines Stromes mag
eines Roſſes Huf aus der Erde ſchlagen, aber in ſei¬
nem Laufe vermag kein menſchlicher Wille ihn aufzu¬
halten. Eben die Kammern werden ihr Recht der
Einwirkung auf die Beſchlüſſe des Bundestags durch¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0131" n="123"/>
griffe i&#x017F;t; &#x017F;tellenwei&#x017F;e &#x017F;ind jene Körper&#x017F;chaften ganz<lb/>
ausgetilgt, und die Hi&#x017F;tori&#x017F;chen &#x017F;ind überdem keines¬<lb/>
wegs &#x017F;o leichten Kaufs gewonnen; ihr Sinn &#x017F;teht mit<lb/>
nichten auf die Verknöcherung der letzten Zeit, noch<lb/>
wollen &#x017F;ie einer verlarvten Willkühr den Vorwand<lb/>
leihen. Wollte man durch Macht&#x017F;prüche über Ver¬<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e ent&#x017F;cheiden, die in der Badi&#x017F;chen Kammer<lb/>
zuer&#x017F;t zur Erörterung kamen, und die Schlü&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Bundestages, ohne Rück&#x017F;icht auf die Stände, für die<lb/>
Kammern ohne weiters verbindlich machen; &#x017F;o mochte<lb/>
man das freylich &#x017F;ich erlauben, aber weil alsdann alle<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung völlig illu&#x017F;ori&#x017F;ch wird, &#x017F;o muß dadurch ein<lb/>
Kampf der Convenienz mit der Natur der Dinge ent¬<lb/>
&#x017F;tehen, der, da die Letzte immer auf die Länge &#x017F;tär¬<lb/>
ker bleibt, unausbleiblich zu ihrem Vortheil nach kur¬<lb/>
zer Fri&#x017F;t enden wird. Wollte man eine vollziehende<lb/>
Macht dem Bundestag creiren; das Herz der Na¬<lb/>
tion i&#x017F;t von die&#x017F;er In&#x017F;titution, die man nur für ein<lb/>
Provi&#x017F;orium zu nehmen &#x017F;ich gewöhnt, abgewendet;<lb/>
auch nach einem Schattenkai&#x017F;er ohne Kammer hat &#x017F;ie<lb/>
nicht die gering&#x017F;te Sehn&#x017F;ucht. Nur einmal i&#x017F;t die<lb/>
gün&#x017F;tige Gelegenheit an den Mächtigen vorbeygegan¬<lb/>
gen, nun &#x017F;ie den Augenblick ver&#x017F;äumt, hat &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
zu anderm Orte hingewendet.</p><lb/>
      <p>Was vermag alle diplomati&#x017F;che Kun&#x017F;t gegen die<lb/>
mächtige Naturgewalt, die &#x017F;ich in den Völkern täglich<lb/>
mehr entkettet? Die er&#x017F;te Quelle eines Stromes mag<lb/>
eines Ro&#x017F;&#x017F;es Huf aus der Erde &#x017F;chlagen, aber in &#x017F;ei¬<lb/>
nem Laufe vermag kein men&#x017F;chlicher Wille ihn aufzu¬<lb/>
halten. Eben die Kammern werden ihr Recht der<lb/>
Einwirkung auf die Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e des Bundestags durch¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0131] griffe iſt; ſtellenweiſe ſind jene Körperſchaften ganz ausgetilgt, und die Hiſtoriſchen ſind überdem keines¬ wegs ſo leichten Kaufs gewonnen; ihr Sinn ſteht mit nichten auf die Verknöcherung der letzten Zeit, noch wollen ſie einer verlarvten Willkühr den Vorwand leihen. Wollte man durch Machtſprüche über Ver¬ hältniſſe entſcheiden, die in der Badiſchen Kammer zuerſt zur Erörterung kamen, und die Schlüſſe des Bundestages, ohne Rückſicht auf die Stände, für die Kammern ohne weiters verbindlich machen; ſo mochte man das freylich ſich erlauben, aber weil alsdann alle Verfaſſung völlig illuſoriſch wird, ſo muß dadurch ein Kampf der Convenienz mit der Natur der Dinge ent¬ ſtehen, der, da die Letzte immer auf die Länge ſtär¬ ker bleibt, unausbleiblich zu ihrem Vortheil nach kur¬ zer Friſt enden wird. Wollte man eine vollziehende Macht dem Bundestag creiren; das Herz der Na¬ tion iſt von dieſer Inſtitution, die man nur für ein Proviſorium zu nehmen ſich gewöhnt, abgewendet; auch nach einem Schattenkaiſer ohne Kammer hat ſie nicht die geringſte Sehnſucht. Nur einmal iſt die günſtige Gelegenheit an den Mächtigen vorbeygegan¬ gen, nun ſie den Augenblick verſäumt, hat ſie ſich zu anderm Orte hingewendet. Was vermag alle diplomatiſche Kunſt gegen die mächtige Naturgewalt, die ſich in den Völkern täglich mehr entkettet? Die erſte Quelle eines Stromes mag eines Roſſes Huf aus der Erde ſchlagen, aber in ſei¬ nem Laufe vermag kein menſchlicher Wille ihn aufzu¬ halten. Eben die Kammern werden ihr Recht der Einwirkung auf die Beſchlüſſe des Bundestags durch¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/131
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/131>, abgerufen am 25.11.2024.