die Gefahr nicht aufs Hintenbleiben, wohl aber aufs Ueberschnellen steht.
Da die Sachen nun also stehen, und bis die Hand, die den Franzosen ihr Mane, Thecel, Phares in die Flammen von Moscau hineingeschrieben, auch unsere Sentenz unwiderruflich in brennenden Zügen an den Himmel schreibt, ist an Jeden, dem das Ge¬ tümmel der Zeit die Sinne nicht verwirrt, und der das Haupt noch in ruhiger Besonnenheit über den bewegten Fluthen hält, das Gebot ergangen, zu stehen auf der Warte der Zeit, zu wachen und zu merken auf die Zeichen, zu rufen und zu warnen ohne Unter¬ laß. Allerdings hat Schweigen seine Zeit und das Reden die seinige. Wenn der menschliche Dünkel keck das hohe Roß beschreitet, und mit verhängtem Zügel nach allen Gelüsten seiner Einbildungen und Leidenschaften jagt; wenn die Gewalt ihres Ursprungs und des innern Richtmaßes der Dinge vergessend, geängstigt durch eine Zeit, die sie nicht begreift, noch weniger zu bändigen weiß, alle ihre Fassung verliert, taumelnd alle Grenzpfähle der Nemesis niederreißt, und nicht blos die ethischen Schranken des Erlaubten und Unerlaubten durchbricht, sondern sogar alle die feinern Beziehungen dessen, was ziemlich ist und was sich nimmer ziemt, mißkennt und ohne Haltung bald tyrannische Gewaltthat übt, bald wieder schwach und nachgiebig, weil sie durch jene ihr Recht verwirkte, sich alles gefallen läßt: im Anfalle eines solchen Pa¬ roxismus mag allerdings der Einzelne ruhig zur Seite treten, und vertrauen auf das starke Weltgesetz, das Gott wie in die Natur, so in die Gesellschaft hinein¬
die Gefahr nicht aufs Hintenbleiben, wohl aber aufs Ueberſchnellen ſteht.
Da die Sachen nun alſo ſtehen, und bis die Hand, die den Franzoſen ihr Mane, Thecel, Phares in die Flammen von Moscau hineingeſchrieben, auch unſere Sentenz unwiderruflich in brennenden Zügen an den Himmel ſchreibt, iſt an Jeden, dem das Ge¬ tümmel der Zeit die Sinne nicht verwirrt, und der das Haupt noch in ruhiger Beſonnenheit über den bewegten Fluthen hält, das Gebot ergangen, zu ſtehen auf der Warte der Zeit, zu wachen und zu merken auf die Zeichen, zu rufen und zu warnen ohne Unter¬ laß. Allerdings hat Schweigen ſeine Zeit und das Reden die ſeinige. Wenn der menſchliche Dünkel keck das hohe Roß beſchreitet, und mit verhängtem Zügel nach allen Gelüſten ſeiner Einbildungen und Leidenſchaften jagt; wenn die Gewalt ihres Urſprungs und des innern Richtmaßes der Dinge vergeſſend, geängſtigt durch eine Zeit, die ſie nicht begreift, noch weniger zu bändigen weiß, alle ihre Faſſung verliert, taumelnd alle Grenzpfähle der Nemeſis niederreißt, und nicht blos die ethiſchen Schranken des Erlaubten und Unerlaubten durchbricht, ſondern ſogar alle die feinern Beziehungen deſſen, was ziemlich iſt und was ſich nimmer ziemt, mißkennt und ohne Haltung bald tyranniſche Gewaltthat übt, bald wieder ſchwach und nachgiebig, weil ſie durch jene ihr Recht verwirkte, ſich alles gefallen läßt: im Anfalle eines ſolchen Pa¬ roxismus mag allerdings der Einzelne ruhig zur Seite treten, und vertrauen auf das ſtarke Weltgeſetz, das Gott wie in die Natur, ſo in die Geſellſchaft hinein¬
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die Gefahr nicht aufs Hintenbleiben, wohl aber aufs
Ueberſchnellen ſteht.
Da die Sachen nun alſo ſtehen, und bis die
Hand, die den Franzoſen ihr Mane, Thecel, Phares
in die Flammen von Moscau hineingeſchrieben, auch
unſere Sentenz unwiderruflich in brennenden Zügen
an den Himmel ſchreibt, iſt an Jeden, dem das Ge¬
tümmel der Zeit die Sinne nicht verwirrt, und der
das Haupt noch in ruhiger Beſonnenheit über den
bewegten Fluthen hält, das Gebot ergangen, zu ſtehen
auf der Warte der Zeit, zu wachen und zu merken
auf die Zeichen, zu rufen und zu warnen ohne Unter¬
laß. Allerdings hat Schweigen ſeine Zeit und das
Reden die ſeinige. Wenn der menſchliche Dünkel
keck das hohe Roß beſchreitet, und mit verhängtem
Zügel nach allen Gelüſten ſeiner Einbildungen und
Leidenſchaften jagt; wenn die Gewalt ihres Urſprungs
und des innern Richtmaßes der Dinge vergeſſend,
geängſtigt durch eine Zeit, die ſie nicht begreift, noch
weniger zu bändigen weiß, alle ihre Faſſung verliert,
taumelnd alle Grenzpfähle der Nemeſis niederreißt,
und nicht blos die ethiſchen Schranken des Erlaubten
und Unerlaubten durchbricht, ſondern ſogar alle die
feinern Beziehungen deſſen, was ziemlich iſt und was
ſich nimmer ziemt, mißkennt und ohne Haltung bald
tyranniſche Gewaltthat übt, bald wieder ſchwach und
nachgiebig, weil ſie durch jene ihr Recht verwirkte,
ſich alles gefallen läßt: im Anfalle eines ſolchen Pa¬
roxismus mag allerdings der Einzelne ruhig zur Seite
treten, und vertrauen auf das ſtarke Weltgeſetz, das
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/12>, abgerufen am 16.02.2025.
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