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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

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De divisione rerum et qualitate.
pupillus nullam rem potest, nisi praesente tutore auctore, et
ne quidem possessionem, quae est
naturalis.
Wäre man
bey diesen aus der Natur des Besitzes entlehnten Begrif-
fen stehen geblieben, so wäre der Unterschied zwischen ci-
vilis
und naturalis possessio gar keinen Schwierigkeiten
unterworfen. Allein nach und nach wurde dem Besitz,
der seiner Natur nach blos factisch ist, durch die bür-
gerlichen Gesetze vieles Rechtliche beygemischt 82).
Nun wurde der Begrif der possessionis civilis theils
abgeändert, theils erweitert; denn auf der einen Seite
war es nicht genug zum bürgerlichen Besitz, daß man
die Absicht habe, die Sache für sich zu behaltem,
sondern es durfte auch diese Absicht, und überhaupt
der ganze Besitz von dem Rechte nicht verworfen seyn,
und auf der andern Seite war seitdem nicht nothwendig,
die Sache physisch zu befitzen, oder den affectum possi-
dendi
zu haben, sondern schon hinreichend, daß vermöge
des Rechts fingirt, oder angenommen werden konnte,
man habe die Sache in seiner Gewalt, oder die Absicht,
die Sache zu besitzen. Hieraus erhellet, daß possessio
civilis
in den Gesetzen nicht blos eine solche Detention be-
deutet, die mit der Absicht, die Sache für sich zu behalten,
verbunden ist, sondern vielmehr diejenige zu nennen sey,

welche
25. et 29. galvanus de Usufructu Cap. XXXIII. §. 14.
Sollte einige Vereinigung statt finden können, so scheint mir
die Meinung des Herrn Prof. Westphals im System
des R. R. über die Arten der Sachen
etc. §. 199.
die natürlichste zu seyn, daß L. 11. von der Aufgebung des
Besitzes, die freylich von dem Pupillen allein, ohne Einwil-
ligung des Vormunds, nicht gültig geschehen kann, L. 29. aber
von der Entsetzung oder einem solchen Verlust des Besitzes,
welcher ohne unsern Willen, wegen eintretender äussern Um-
stände verursacht wird, zu verstehen sey.
82) L. 49. pr. D. de A. v. A. Poss.
K k 3

De diviſione rerum et qualitate.
pupillus nullam rem poteſt, niſi praeſente tutore auctore, et
ne quidem poſſeſſionem, quae eſt
naturalis.
Waͤre man
bey dieſen aus der Natur des Beſitzes entlehnten Begrif-
fen ſtehen geblieben, ſo waͤre der Unterſchied zwiſchen ci-
vilis
und naturalis poſſeſſio gar keinen Schwierigkeiten
unterworfen. Allein nach und nach wurde dem Beſitz,
der ſeiner Natur nach blos factiſch iſt, durch die buͤr-
gerlichen Geſetze vieles Rechtliche beygemiſcht 82).
Nun wurde der Begrif der poſſeſſionis civilis theils
abgeaͤndert, theils erweitert; denn auf der einen Seite
war es nicht genug zum buͤrgerlichen Beſitz, daß man
die Abſicht habe, die Sache fuͤr ſich zu behaltem,
ſondern es durfte auch dieſe Abſicht, und uͤberhaupt
der ganze Beſitz von dem Rechte nicht verworfen ſeyn,
und auf der andern Seite war ſeitdem nicht nothwendig,
die Sache phyſiſch zu befitzen, oder den affectum poſſi-
dendi
zu haben, ſondern ſchon hinreichend, daß vermoͤge
des Rechts fingirt, oder angenommen werden konnte,
man habe die Sache in ſeiner Gewalt, oder die Abſicht,
die Sache zu beſitzen. Hieraus erhellet, daß poſſeſſio
civilis
in den Geſetzen nicht blos eine ſolche Detention be-
deutet, die mit der Abſicht, die Sache fuͤr ſich zu behalten,
verbunden iſt, ſondern vielmehr diejenige zu nennen ſey,

welche
25. et 29. galvanus de Uſufructu Cap. XXXIII. §. 14.
Sollte einige Vereinigung ſtatt finden koͤnnen, ſo ſcheint mir
die Meinung des Herrn Prof. Weſtphals im Syſtem
des R. R. uͤber die Arten der Sachen
ꝛc. §. 199.
die natuͤrlichſte zu ſeyn, daß L. 11. von der Aufgebung des
Beſitzes, die freylich von dem Pupillen allein, ohne Einwil-
ligung des Vormunds, nicht guͤltig geſchehen kann, L. 29. aber
von der Entſetzung oder einem ſolchen Verluſt des Beſitzes,
welcher ohne unſern Willen, wegen eintretender aͤuſſern Um-
ſtaͤnde verurſacht wird, zu verſtehen ſey.
82) L. 49. pr. D. de A. v. A. Poſſ.
K k 3
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[517/0531] De diviſione rerum et qualitate. pupillus nullam rem poteſt, niſi praeſente tutore auctore, et ne quidem poſſeſſionem, quae eſt naturalis. Waͤre man bey dieſen aus der Natur des Beſitzes entlehnten Begrif- fen ſtehen geblieben, ſo waͤre der Unterſchied zwiſchen ci- vilis und naturalis poſſeſſio gar keinen Schwierigkeiten unterworfen. Allein nach und nach wurde dem Beſitz, der ſeiner Natur nach blos factiſch iſt, durch die buͤr- gerlichen Geſetze vieles Rechtliche beygemiſcht 82). Nun wurde der Begrif der poſſeſſionis civilis theils abgeaͤndert, theils erweitert; denn auf der einen Seite war es nicht genug zum buͤrgerlichen Beſitz, daß man die Abſicht habe, die Sache fuͤr ſich zu behaltem, ſondern es durfte auch dieſe Abſicht, und uͤberhaupt der ganze Beſitz von dem Rechte nicht verworfen ſeyn, und auf der andern Seite war ſeitdem nicht nothwendig, die Sache phyſiſch zu befitzen, oder den affectum poſſi- dendi zu haben, ſondern ſchon hinreichend, daß vermoͤge des Rechts fingirt, oder angenommen werden konnte, man habe die Sache in ſeiner Gewalt, oder die Abſicht, die Sache zu beſitzen. Hieraus erhellet, daß poſſeſſio civilis in den Geſetzen nicht blos eine ſolche Detention be- deutet, die mit der Abſicht, die Sache fuͤr ſich zu behalten, verbunden iſt, ſondern vielmehr diejenige zu nennen ſey, welche 81) 82) L. 49. pr. D. de A. v. A. Poſſ. 81) 25. et 29. galvanus de Uſufructu Cap. XXXIII. §. 14. Sollte einige Vereinigung ſtatt finden koͤnnen, ſo ſcheint mir die Meinung des Herrn Prof. Weſtphals im Syſtem des R. R. uͤber die Arten der Sachen ꝛc. §. 199. die natuͤrlichſte zu ſeyn, daß L. 11. von der Aufgebung des Beſitzes, die freylich von dem Pupillen allein, ohne Einwil- ligung des Vormunds, nicht guͤltig geſchehen kann, L. 29. aber von der Entſetzung oder einem ſolchen Verluſt des Beſitzes, welcher ohne unſern Willen, wegen eintretender aͤuſſern Um- ſtaͤnde verurſacht wird, zu verſtehen ſey. K k 3

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/531>, abgerufen am 25.07.2024.