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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

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De adoptionibus, emancipationibus etc.
setzgeber erstreckten zwar die väterliche Gewalt auf die
ganze Lebenszeit des Vaters hinaus, und wenn der Va-
ter ja die Kinder noch bey seinem Leben seiner Gewalt
entließ, so hatten sie solches als eine besondere Wohlthat
anzusehen 39). Allein es waren nicht politische Gründe,
nicht die Absicht, dadurch die Regierung und die Sitt-
lichkeit zu befestigen, die Ursache jenes Despotismus,
wie Herr von Globig 40) richtig bemerkt hat; sondern
die Noth und der Eigennutz der Räuber, welche den rö-
mischen Freystaat gegründet hatten, führten den Griffel
des ersten Gesetzgebers. Und obwohl das Zwölftafelge-
setz und die Ehrfurcht für das graue Alterthum demsel-
ben das Siegel der Unvergänglichkeit aufdrückte, so
daß auch bey allen nachherigen Milderungen der väter-
lichen Gewalt, welche von den röm. Kaisern gemacht
wurden, dennoch dem Vater diese immerwährende Herr-
schaft über seine Kinder verblieb 41); so haben demunge-
achtet so wenig die Teutschen als andere europäische Na-
tionen, welche die römischen Rechte unter sich eingefüh-
ret, hierin dem Beyspiel der Römer gefolget. Sie ha-
ben es vielmehr als Schuldigkeit der Eltern betrachtet,
das erzogene volljährige Kind ziehen zu lassen, ja es ste-
het in dessen Willen, bey jeder sich ereignenden vortheil-

haften
39) dionys. halicarn. lib. II. Antiquit. Rom. pag. 96. (edit.
Sylburg.) Romanorum autem legislator (Romulus) omnem
potestatem patri dedit in filium, idque toto vitae tempore, --
etiamsi filius tractet rempublicam, etiamsi magistratus gesserit
maximos, etiamsi studii erga rempublicam laudem sit pro-
meritus.
40) a. a. O. S. 120. Not. ***).
41) Daher hatte ein römischer Vater auch über des Sohns Kin-
der, seine Enkel und Enkelinnen, ja über die Kinder dieser
Enkel, seine Urenkel, die väterliche Gewalt. §. 3. I. de patr.
potest.

De adoptionibus, emancipationibus etc.
ſetzgeber erſtreckten zwar die vaͤterliche Gewalt auf die
ganze Lebenszeit des Vaters hinaus, und wenn der Va-
ter ja die Kinder noch bey ſeinem Leben ſeiner Gewalt
entließ, ſo hatten ſie ſolches als eine beſondere Wohlthat
anzuſehen 39). Allein es waren nicht politiſche Gruͤnde,
nicht die Abſicht, dadurch die Regierung und die Sitt-
lichkeit zu befeſtigen, die Urſache jenes Despotismus,
wie Herr von Globig 40) richtig bemerkt hat; ſondern
die Noth und der Eigennutz der Raͤuber, welche den roͤ-
miſchen Freyſtaat gegruͤndet hatten, fuͤhrten den Griffel
des erſten Geſetzgebers. Und obwohl das Zwoͤlftafelge-
ſetz und die Ehrfurcht fuͤr das graue Alterthum demſel-
ben das Siegel der Unvergaͤnglichkeit aufdruͤckte, ſo
daß auch bey allen nachherigen Milderungen der vaͤter-
lichen Gewalt, welche von den roͤm. Kaiſern gemacht
wurden, dennoch dem Vater dieſe immerwaͤhrende Herr-
ſchaft uͤber ſeine Kinder verblieb 41); ſo haben demunge-
achtet ſo wenig die Teutſchen als andere europaͤiſche Na-
tionen, welche die roͤmiſchen Rechte unter ſich eingefuͤh-
ret, hierin dem Beyſpiel der Roͤmer gefolget. Sie ha-
ben es vielmehr als Schuldigkeit der Eltern betrachtet,
das erzogene volljaͤhrige Kind ziehen zu laſſen, ja es ſte-
het in deſſen Willen, bey jeder ſich ereignenden vortheil-

haften
39) dionys. halicarn. lib. II. Antiquit. Rom. pag. 96. (edit.
Sylburg.) Romanorum autem legislator (Romulus) omnem
poteſtatem patri dedit in filium, idque toto vitae tempore, —
etiamſi filius tractet rempublicam, etiamſi magiſtratus geſſerit
maximos, etiamſi ſtudii erga rempublicam laudem ſit pro-
meritus.
40) a. a. O. S. 120. Not. ***).
41) Daher hatte ein roͤmiſcher Vater auch uͤber des Sohns Kin-
der, ſeine Enkel und Enkelinnen, ja uͤber die Kinder dieſer
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[381/0395] De adoptionibus, emancipationibus etc. ſetzgeber erſtreckten zwar die vaͤterliche Gewalt auf die ganze Lebenszeit des Vaters hinaus, und wenn der Va- ter ja die Kinder noch bey ſeinem Leben ſeiner Gewalt entließ, ſo hatten ſie ſolches als eine beſondere Wohlthat anzuſehen 39). Allein es waren nicht politiſche Gruͤnde, nicht die Abſicht, dadurch die Regierung und die Sitt- lichkeit zu befeſtigen, die Urſache jenes Despotismus, wie Herr von Globig 40) richtig bemerkt hat; ſondern die Noth und der Eigennutz der Raͤuber, welche den roͤ- miſchen Freyſtaat gegruͤndet hatten, fuͤhrten den Griffel des erſten Geſetzgebers. Und obwohl das Zwoͤlftafelge- ſetz und die Ehrfurcht fuͤr das graue Alterthum demſel- ben das Siegel der Unvergaͤnglichkeit aufdruͤckte, ſo daß auch bey allen nachherigen Milderungen der vaͤter- lichen Gewalt, welche von den roͤm. Kaiſern gemacht wurden, dennoch dem Vater dieſe immerwaͤhrende Herr- ſchaft uͤber ſeine Kinder verblieb 41); ſo haben demunge- achtet ſo wenig die Teutſchen als andere europaͤiſche Na- tionen, welche die roͤmiſchen Rechte unter ſich eingefuͤh- ret, hierin dem Beyſpiel der Roͤmer gefolget. Sie ha- ben es vielmehr als Schuldigkeit der Eltern betrachtet, das erzogene volljaͤhrige Kind ziehen zu laſſen, ja es ſte- het in deſſen Willen, bey jeder ſich ereignenden vortheil- haften 39) dionys. halicarn. lib. II. Antiquit. Rom. pag. 96. (edit. Sylburg.) Romanorum autem legislator (Romulus) omnem poteſtatem patri dedit in filium, idque toto vitae tempore, — etiamſi filius tractet rempublicam, etiamſi magiſtratus geſſerit maximos, etiamſi ſtudii erga rempublicam laudem ſit pro- meritus. 40) a. a. O. S. 120. Not. ***). 41) Daher hatte ein roͤmiſcher Vater auch uͤber des Sohns Kin- der, ſeine Enkel und Enkelinnen, ja uͤber die Kinder dieſer Enkel, ſeine Urenkel, die vaͤterliche Gewalt. §. 3. I. de patr. poteſt.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/395>, abgerufen am 22.11.2024.